ARD-Korrespondent Reissenberger zum ZDF-Urteil "Kein Riesen-Geklüngel mehr"
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss staatsfern sein - daran hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zu den ZDF-Gremien erinnert. "Künftig können die Parteilager die Postenvergabe nicht mehr unter sich ausmachen", sagt ARD-Korrespondent Michael Reissenberger im Interview.
tagesschau.de: Hat die Lehre aus der Affäre um den geschassten Chefredakteur Nikolas Brender jetzt in Karlsruhe gewirkt?
Michael Reissenberger: Die Richter sind auf jeden Fall alarmiert worden. Die Brender-Affäre stand ja am Anfang dieser Klage gegen das ZDF. Und das heutige Urteil soll bis Mitte 2015 nun den überbordenden Einfluss von Länderstaatskanzleien und hochrangigen Politikfunktionären auf die ZDF-Gremien verringern. Deswegen soll den Staats- und Parteimächtigen nur noch ein Drittel der Sitze in Verwaltungs- und Fernsehrat zustehen, damit soll das ZDF staatsfern organisiert werden.
tagesschau.de: Der Vorsitzende des ersten Senates Kirchhof hat in der Urteilsbegründung die Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks betont. Was heißt Staatsferne genau?
Reissenberger: Staatsfern heißt im Klartext: Künftig soll es kein Riesen-Geklüngel mehr zwischen den großen Parteilagern geben, die unter sich die Vergabe von Posten wie etwa Intendanten, Programmdirektoren und Chefredakteuren alleine ausmachen.
Staatsferne bedeutet aber auch, dass es hier keine komplette Freiheit vom Staat gibt, weil der Staat mit Gesetzen den öffentlichen Rundfunk organisieren muss, andererseits der Rundfunk die in der ganzen Gesellschaft vertretenen Meinungen in ihren vielen Facetten widerspiegeln soll. Er darf nicht zum Staatsfunk werden. Er darf nicht von Politik und Staat instrumentalisiert werden zur einseitigen Belehrung von Zuschauern und Hörern. Deswegen ist in den entscheidenden Aufsichtsorganen des ZDF auch der Anteil der Staatsakteure auf ein Drittel der Mitgliederzahl zu begrenzen.
"Gremien dürfen nicht versteinern"
tagesschau.de: Wie sollen die Aufsichtsgremien künftig aussehen?
Reissenberger: Auf einen Politiker kommen zwei Vertreter aus gesellschaftlichen Gruppierungen. Sie sichern die Vielfalt der Strömungen des Gemeinwesens, so heißt es im Urteil, auch kleine Gruppierungen sollen da Platz finden, damit die Rundfunkgremien nicht versteinern im Meinungsspektrum der Mehrheiten.
Immerhin verbleibt den Parteien also ein Drittel der Sitze. Das ist wohl auch in der Überlegung geschehen, dass Parteien sehr geübt sind darin, gesellschaftliche Fragen aufzunehmen und Problemlösungen zu organisieren. Dem Verfassungsrichter Andreas Paulus gefällt das allerdings gar nicht. Er fände eine noch weitergehende Freiheit der Aufsichtsgremien von Vertretern des Staates angebracht.
tagesschau.de: Welche Auswirkungen hat das Urteil auf andere Rundfunkanstalten?
Reissenberger: Teilweise sind die Anstalten innerhalb der ARD erheblich staatsferner als das ZDF konstruiert. Da sitzen im Verwaltungs- und im Rundfunkrat kaum Politiker oder Abgesandte aus den Staatskanzleien.
Soweit die Rundfunkanstalten ähnlich organisiert sind wie das ZDF - und hier denke ich vor allem an das Deutschlandradio - müsste jetzt das Nachdenken und Reformieren beginnen. Denn das Gebot der Staatsferne ist ja für alle Rundfunkanstalten verpflichtend. Und wie ernst es die Richter meinen, zeigt sich auch daran, dass sie bis zum 30. Juni 2015 die Verhältnisse zumindest beim ZDF geklärt wissen wollen. Die Rundfunkpolitik hat jetzt die große Aufgabe, alle 16 Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten und ihre Landtage für einen neuen Staatsvertrag zu gewinnen, der dem Gebot der Staatsferne gehorcht.