Verfahren um Euro-Rettungskurs Warum soll der EUGH entscheiden?
Die Karlsruher Richter betreten Neuland: Im Streit über den Euro-Rettungskurs der EZB überlässt das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung dem Europäischen Gerichtshof. Warum? Und wie geht es jetzt weiter? Wichtige Fragen und Antworten im Überblick.
Worum geht es in dem Verfahren?
Es geht um den Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB. Am 6. September 2012 war EZB-Präsident Mario
Draghi in Frankfurt am Main vor die Presse getreten. Er kündigte ein Programm mit Namen "Outright Monetary Transactions" (OMT) an. Der Inhalt: Die EZB werde im Notfall auf dem sogenannten Sekundärmarkt, also auf den Finanzmärkten, Staatsanleihen von Krisenstaaten aufkaufen. Dazu druckt sie Geld in der nötigen Menge. So werde an den Anleihemärkten den Spekulanten der Boden entzogen. Die Folge: sinkende Zinsen, für die sich die Krisenstaaten frisches Geld besorgen können. Als Gegenleistung müssten sich die Staaten unter den Rettungsschirm ESM begeben (was mit Bedingungen verknüpft ist, zum Beispiel bestimmte Reformen anzugehen). Der Ankauf könne in unbegrenzter Höhe stattfinden, so Draghi. Bislang wurde das OMT-Programm nicht angewendet.
Was sind die rechtlichen Fragen beim Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB?
Laut Grundgesetz (Artikel 88 Absatz 2) darf Deutschland die Aufgaben der Notenbank der Europäischen Zentralbank übertragen, die unabhängig und dem vorrangigen Ziel der Preisstabilität verpflichtet ist. Die EZB ist unabhängig, die Regierungen haben also keinen direkten Einfluss auf ihr Handeln. Aber natürlich ist sie an die Aufgaben gebunden, die ihr die europäischen Verträge zuweisen. Rechtlich geht es daher um die Frage, ob die EZB ihre Kompetenzen überschreitet, also etwas tut, für das sie nach den Europäischen Verträgen gar nicht zuständig ist. Zum Beispiel, Staatsfinanzierung, also die Finanzierung der Haushalte einzelner (überschuldeter) Staaten - das ist nicht erlaubt. Die Frage ist nun: Worunter fällt der Ankauf von Staatsanleihen am Sekundärmarkt? Erlaubt oder verboten?
Was sind die Argumente der EZB?
Die EZB-Vertreter sagen, sie reagierten nur auf das gestörte Gleichgewicht an den Anleihemärkten in Form von extrem hohen Zinsen für Krisenstaaten, die diese für frisches Geld ausgeben müssen. Man mache also Geldpolitik. Auch nach dem heutigen Beschluss aus Karlsruhe betonte die EZB, man bewege sich im Rahmen des Mandats.
Was ist die Ansicht des Bundesverfassungsgerichts?
Für das Bundesverfassungsgericht sprechen gewichtige Gründe dafür, dass die EZB ihr Mandat der Geldpolitik mit dem OMT-Programm überschreitet. Dafür spreche, dass die EZB nur Staatsanleihen einzelner Mitgliedsstaaten ankaufen würde. Geldpolitik betreffe typischerweise aber alle Staaten gleich. Außerdem sehen sie folgende Gefahr: Hilfsprogramme wie der Europäische Rettungsschirm ESM seien der Höhe nach begrenzt, außerdem hätten die Parlamente hier Kontrollfunktionen. Bei einem Ankauf von Staatsanleihen durch die unabhängige EZB könnten diese Kontrollmechanismen umgangen werden. Allerdings lässt Karlsruhe auch eine Hintertür offen: Der Beschluss der EZB sei möglicherweise dann nicht zu beanstanden, wenn man Grenzen einziehen würde. Als Beispiel nennt das Gericht den Ausschluss eines Schuldenschnitts oder einen Ankauf von Staatsanleihen nur in begrenzter Höhe.
Warum hat Karlsruhe das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH vorgelegt?
Grundsätzlich gilt die Aufgabenteilung: Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe prüft deutsche Rechtsakte am Maßstab des Grundgesetzes, der Europäische Gerichtshof in Luxemburg prüft europäische Rechtsakte am Maßstab der europäischen Verträge. Allerdings hat Karlsruhe sich immer die mögliche Kontrolle vorbehalten, ob Institutionen der EU ihre Kompetenzen in einzelnen Fällen deutlich überschreiten. Im Juristenjargon heißt das dann, sie könnten "ultra vires" handeln. Um so eine Prüfung geht es hier bei der Frage, ob die EZB entgegen ihrem Auftrag Staaten finanziert hat. Würde sie ihren Auftrag evident überschreiten, wäre das nicht mehr von den Kompetenzübertragungen durch das Grundgesetz gedeckt. Allerdings haben die Karlsruher Richter auch immer gesagt: Sollte man einmal zu dem Ergebnis "ultra vires" kommen, würde man die Rechtsfragen dem EuGH zur Prüfung vorlegen, damit das für Europarecht zuständige Gericht die Fragen behandeln kann. Das ist nun - erstmals in der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts - passiert. An anderen Gerichten, etwa dem Bundesgerichtshof, sind solche Vorlagen seit vielen Jahren gang und gäbe.
Kapituliert Karlsruhe damit vor dem EuGH?
Nein. Es ist ein klares Zeichen der Öffnung. Jahrelang hatte man nur über das "Kooperationsverhältnis", der Gerichte nur geredet, jetzt macht man erstmals ernst. Über Europarecht entscheidet der EuGH, so ist das nun einmal vorgesehen. Es war eher ungewöhnlich, dass Karlsruhe so lange gebraucht hat, andere Verfassungsgerichte von EU-Staaten waren da schneller. Den Vorlagebeschluss mit seinen Fragen kann man aber durchaus auch als Herausforderung an die Kollegen in Luxemburg verstehen, denn die Meinung, dass die EZB ihre Kompetenzen überschreitet, ist recht deutlich formuliert. Gleichzeitig zeigen die Richter aber auch Korrekturmöglichkeiten auf. Man kann fast den Eindruck bekommen, Karlsruhe möchte Luxemburg zu einer Entscheidung "Ja, aber" herausfordern. Ja, der Ankauf von Staatsanleihen ist möglich, aber folgende Grenzen sind zwingend. Solche "Ja, aber"-Entscheidungen hat Karlsruhe selbst in europäischen Fragen schon oft gesprochen.
Wie geht das Verfahren jetzt weiter?
Der EuGH muss jetzt die vorgelegten Fragen beantworten. Wie lange das dauern wird, ist schwer zu sagen. Es besteht die Möglichkeit, die Sache als "beschleunigtes Verfahren" zu entscheiden. Nach den Antworten aus Luxemburg führt Karlsruhe das Verfahren zu Ende und spricht sein Urteil. Das Bundesverfassungsgericht hat also das letzte Wort, zumindest in formaler Hinsicht. Was den Inhalt angeht, ist die Frage des "letzten Wortes" umstritten.
Ist die Antwort aus Luxemburg bindend für das BVerfG?
Grundsätzlich entscheidet der EuGH bindend darüber, wie das Europarecht auszulegen ist, ob also die EZB gegen europäisches Recht verstößt oder nicht. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht in vergangenen Entscheidungen immer wieder angekündigt, sich auch inhaltlich ein "letztes Wort" vorzubehalten, wenn der EuGH mit seiner Rechtsprechung aus Karlsruher Sicht seine Kompetenz einmal deutlich überschreiten würde. Dann wäre das aus Karlsruher Sicht nicht mehr von den Kompetenzübertragungen des Grundgesetzes gedeckt. Das Problem könnte sich stellen, wenn der EuGH das Handeln der EZB einfach durchwinken würde. Die spannende Frage ist also zum einen, wie sehr Luxemburg auf die Karlsruher Bedenken eingeht, und ob das Bundesverfassungsgericht die Antwort aus Luxemburg am Ende akzeptiert oder nicht.
Hat Karlsruhe die rechtlichen Mittel, der EZB direkt etwas untersagen?
Nein. Dafür wäre der EuGH zuständig. Karlsruhe hätte die Möglichkeit, einen Rechtsverstoß feststellen und die deutschen Akteure (Bundestag, Bundesregierung, Bundesbank) zu verpflichten, auf einen Stopp solcher Programme auf europäischer Ebene möglichst intensiv hinzuwirken, Grenzen einzuführen oder das europäische Recht zu ändern. Schon die Feststellung eines Rechtsverstoßes wäre allerdings ein deutliches Signal aus einem der größten Geberländer der EU. Das Gericht hat immer betont, dass es seine Aufgabe darin sieht, die Einhaltung des Rechts zu kontrollieren, aber keine europapolitischen Grundsatzentscheidungen selbst zu treffen.