Schärfere Regeln für Migration EU-Parlament stimmt Asylreform zu
Das EU-Parlament hat die EU-Asylreform final gebilligt. Künftig sollen mithilfe der neuen Regelungen schnellere Abschiebungen ermöglicht werden. Über den Kompromiss zur Reform war bis zuletzt gestritten worden.
Nach jahrelangem Ringen hat das EU-Parlament einem Kompromiss zur Asylreform zugestimmt. Eine Mehrheit der Abgeordneten stimmte in Brüssel für alle zehn Gesetzesvorschläge der Reform.
Die Reform sieht vor allem verschärfte Regelungen, schnellere Abschiebungen und die Entlastung jener EU-Länder vor, in denen besonders viele Geflüchtete ankommen. Im vergangenen Jahr wurden laut der EU-Asylagentur rund 1,1 Millionen Asylanträge gestellt, so viele wie seit 2016 nicht mehr.
Schnellere Abschiebungen direkt an den EU-Außengrenzen
Ein zentrales Element ist, dass ankommende Asylbewerberinnen und Asylbewerber mit geringer Bleibechance schneller und direkt von der EU-Außengrenze abgeschoben werden sollen, auch in sogenannte sichere Drittländer.
Dahinter stehen die sogenannten Grenzverfahren. Haben Menschen eine Staatsangehörigkeit, deren Anerkennungsquote für Asyl bei unter 20 Prozent liegt, sollen sie an der Grenze festgehalten werden. Ihr Anspruch auf Asyl soll dann direkt vor Ort und innerhalb von zwölf Wochen in einem Schnellverfahren geprüft werden. Wer keine Aussicht auf Asyl hat, soll direkt abgeschoben werden.
Von den strikteren Abschiebeverfahren ausgenommen sind unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Deutschland hatte in den Verhandlungen um die Reform auch darauf gedrängt, Ausnahmen für Familien mit Kindern zu schaffen, konnte sich aber mit dieser Forderung letztlich nicht durchsetzen.
Mehr Datenerfassung, mehr Sicherheitschecks
In Zukunft soll zudem mehr Klarheit darüber herrschen, wer die Flüchtlinge sind, die nach Europa einreisen. In einer zentralen EU-Datenbank werden Fingerabdrücke und biometrische Angaben der Migranten gesammelt, ebenso sind Sicherheitschecks vorgesehen.
Umverteilung aus überlasteten EU-Staaten
Ein weiteres Kernelement der Reform ist der sogenannte Solidaritätsmechanismus, durch den die EU-Staaten entlastet werden sollen, in denen besonders viele Geflüchtete ankommen, etwa Italien oder Griechenland. Künftig sollen pro Jahr mindestens 30.000 Migrantinnen und Migranten aus diesen Ländern in andere EU-Staaten umverteilt werden. EU-Mitglieder, die die Aufnahme verweigern, müssen stattdessen Strafzahlungen leisten.
Gegen diesen Punkt hatten sich vor allem Polen und Ungarn heftig zur Wehr gesetzt. Der ungarische Regierungschef Viktor Orban hatte der EU wiederholt vorgeworfen, zu dem Kompromiss gezwungen und "rechtlich vergewaltigt" zu werden.
Aktivisten stören Abstimmung
Seit 2015 hatten die EU-Mitglieder um einen Kompromiss in der Frage nach einer Asylreform gerungen - und noch bis zur finalen Debatte vor der Abstimmung im EU-Parlament hatten Abgeordnete von SPD, Linkspartei und Grünen Kritik an den aus ihrer Sicht teils zu scharfen Regelungen geübt.
Vor dem EU-Parlament hatten Aktivisten gegen die geplanten Verschärfungen demonstriert. Auch das Votum im Parlament wurde von Aktivisten mit Zwischenrufen wie "Dieser Pakt tötet - stimmt dagegen" gestört. Die Protestierenden warfen Papierflugzeuge in das Plenum.
Von der Leyen: Gleichgewicht zwischen Strenge und Fürsorge
Die Präsidentin des EU-Parlaments, Roberta Metsola, zeigte sich erleichtert über die Mehrheit für die Reform. Im Kurznachrichtendienst X betonte sie, der Kompromiss schaffe "eine Balance zwischen Solidarität und Verantwortung".
Ebenso wertete EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Reform als wichtigen Schritt, um das "richtige Gleichgewicht zwischen strengeren Regeln gegen den Missbrauch des Systems und der Fürsorge für die Schwächsten" zu schaffen. Das bedeute, dass Personen, die kein Recht auf Asyl hätten, nicht in die Europäische Union einreisen dürften, während diejenigen, die vor Krieg oder Verfolgung fliehen würden, mit dem nötigen Schutz rechnen könnten.
EU-Innenkommissarin Ylva Johansson dankte dem Parlament für seinen "Mut zum Kompromiss". Die EU werde so in der Lage sein, ihre Außengrenzen, die Schutzbedürftigen und Geflüchtete besser zu schützen und diejenigen, die kein Bleiberecht haben, rasch zurückzuschicken.
"Historischer, unverzichtbarer Schritt"
Bundeskanzler Olaf Scholz bezeichnete das Votum des Gremiums als "historischen, unverzichtbaren Schritt". Die Reform stehe "für die Solidarität unter den europäischen Staaten", schrieb der SPD-Politiker auf X. Mit den neuen Regelungen werde die irreguläre Migration begrenzt und sie entlasteten "endlich die Länder, die besonders stark betroffen sind".
Auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, deren Grüne zu den Kritikern der Reform zählen, begrüßte die Einigung im EU-Parlament. Mit dem Ja zum Kompromiss beweise die EU Handlungsfähigkeit und erhalte verbindliche Regeln mit Humanität und Ordnung. "Die verpflichtende Solidarität ist ein Meilenstein. Das ist auch eine gute Nachricht für Kommunen in Deutschland", so Baerbock.
"Eine tiefe Spaltung in Europa überwunden"
Mit der Zustimmung zu den verschärften Asylregelungen sei "eine tiefe Spaltung in Europa überwunden" worden, lobte Bundesinnenministerin Nancy Faeser die Entscheidung des EU-Gremiums. Nun werde Deutschland gemeinsam mit der EU-Kommission und der belgischen Ratspräsidentschaft "sehr intensiv daran arbeiten, das Gemeinsame Europäische Asylsystem schnellstmöglich umzusetzen".
Faeser betonte weiter, trotz der verschärften Regelungen würden weiterhin die Menschen geschützt, "die aus furchtbaren Kriegen, vor Terror, Folter und Mord zu uns fliehen". Aber diese Verantwortung werde künftig "auf mehr Schultern verteilt sein".
Kritik von Hilfsorganisationen und Kirche
Kritik an den beschlossenen Regelungen kam hingegen von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Der Kompromiss sei "beschämend". Die europäischen Institutionen hätten sich auf ein Abkommen verständigt, von dem sie wüssten, dass es zu noch größerem menschlichen Leid führen werde, erklärte Eve Geddie, bei der Organisation zuständig für EU-Institutionen. Für Menschen auf der Flucht vor Konflikten, Verfolgung oder wirtschaftlicher Unsicherheit bedeutete die Reform "weniger Schutz und ein größeres Risiko, europaweit mit Menschenrechtsverletzungen konfrontiert zu werden".
Auch der katholische Dachverband Caritas Europa wertete die beschlossenen Regelungen kritisch - und bezog sich dabei vorrangig auf eine "Inhaftierung" von Familien und Kindern an den EU-Außengrenzen und auf eine "diskriminierende Vorsortierung Schutzsuchender und die Auslagerung der Asylfrage in Drittstaaten".
"Tiefpunkt für den Flüchtlingsschutz in Europa"
Ähnlich äußerte sich die Organisation Pro Asyl. Die Reform stelle einen "Tiefpunkt für den Flüchtlingsschutz in Europa" dar. Zu den schon bestehenden Zäunen, Mauern, Überwachungstechniken und Pushbacks kämen nun "absehbar noch mehr Inhaftierung und Isolierung schutzsuchender Menschen an den Außengrenzen und neue menschenrechtswidrige Deals mit autokratischen Regierungen dazu", sagte Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl.
Ärzte ohne Grenzen warnte, die Reform werde nicht dazu beitragen, die humanitäre Krise an den EU-Außengrenzen zu lösen, stattdessen werde das System bestehende Dynamiken weiter verschärfen und Menschen dazu zwingen, noch gefährlichere Fluchtrouten zu wählen.
Nach dem EU-Parlament muss nun noch der Rat der EU-Mitgliedstaaten der Reform zustimmen, was aber als sicher gilt. Anschließend haben die EU-Staaten zwei Jahre Zeit für die Umsetzung der neuen Regelungen.