Europawahl 2019 Experten warnen vor russischem Einfluss
Auf die Europawahl im Mai schaut auch Russland genau. Doch dabei belässt es der Kreml nicht, warnen Sicherheitsexperten: Moskau versuche, das neue EU-Parlament zum eigenen Vorteil zu formen.
Für den Chef des estnischen Auslandsnachrichtendienstes, Mikk Marran, ist klar: Russland will die Einheit der Europäer zerstören - beispielsweise in der Frage der EU-Russlandsanktionen. So erklärt Marran im Jahresbericht 2019 der Behörde, der in dieser Woche veröffentlicht wurde:
Um das zu erreichen, ist Russland darauf vorbereitet, auf die Innenpolitik anderer Staaten Einfluss zu nehmen. Das Thema bedarf in diesem Jahr besonderer Aufmerksamkeit, wenn die EU-Mitgliedsstaaten ihre Vertreter für das Europäische Parlament wählen.
Auch Deutschland im Fokus
Mit Blick auf die Europawahl im Mai werde "der Kreml wahrscheinlich versuchen, auf die großen Mitgliedsstaaten der EU Einfluss zu nehmen. Deutschland, Frankreich und Italien stehen dabei besonders im Fokus, da von dort etwa ein Drittel der Abgeordneten des Europäischen Parlaments kommen", heißt es im Bericht. Außerdem gebe es in diesen Staaten politische Parteien, die ihre Unterstützung für die derzeitige Politik des Kremls gegenüber dem Westen deutlich machen.
"Der Zweck heiligt die Mittel" - nach diesem Prinzip habe Russland schon in der Vergangenheit gehandelt und werde dies auch in Bezug auf die anstehende EU-Wahl tun.
Estlands Sicherheitsbehörden warnen schon lange vor russischer Einflussnahme in Europa. Deutsche Sicherheitsexperten sehen das differenzierter. "Weil die NATO militärisch jetzt sehr eng mit der Europäischen Union zusammengehen will, steht die EU auf jeden Fall stärker im russischen Fokus", erklärt Sandro Gaycken, der unter anderem die Bundesregierung in der IT-Sicherheit berät.
Der Kreml ist vorsichtiger geworden
Allerdings seien die Russen nach der nachgewiesenen Einflussnahme auf die amerikanische Präsidentschaftswahl 2016 deutlich vorsichtiger geworden.
Das ging für den Kreml völlig nach hinten los und hat den Westen geeint. Der gemeinsame Feind Russland war plötzlich wieder da.
Daher wäre ein Eingriff in die Europawahl, etwa durch massive Cyberangriffe, ein zu großes Risiko für Moskau, so Gaycken. Dagegen geht er von einer klaren Strategie des Kremls aus, rechte Parteien im EU-Wahlkampf zu stärken: "Wir wissen von finanziellen Unterstützungen über dubiose Kanäle in der Schweiz und über Privatpersonen. Es ist ein klassisches russisches Vehikel, Propaganda und Störenfriede ins Europäische Parlament reinzusetzen."
Wahlcomputer als Schwachstelle?
Experten sind alarmiert und gehen aber dennoch von potenziellen russischen Angriffen auf die Wahl-Computersysteme in ganz Europa aus. Daten über die Wahlergebnisse werden jeweils von den EU-Mitgliedsstaaten über ihre eigenen Computersysteme übermittelt. "Das ist eine unglaublich große Angriffsoberfläche", sagt Sven Herpig, Leiter für Internationale Cyber-Sicherheitspolitik bei der Stiftung Neue Verantwortung:
Da die Wahl nur valide ist, wenn die Ergebnisse aus allen EU-Staaten zuverlässig übermittelt worden sind, kann man sich das schwächste Glied herausgreifen. Das macht es dem Angreifer bei der EU-Wahl im Vergleich zur deutschen Bundestagswahl viel leichter. Da sehe ich Deutschland weniger im Fokus als Spanien, Portugal oder Kroatien.
Die EU hat noch nicht erklärt, wie sie die Wahl schützen will. Derzeit werde in Brüssel zwar an einer "Cyber Diplomacy Toolbox" gearbeitet. "Um vor der Europawahl ein umfassendes Sicherheitskonzept zu etablieren, ist es aber schon zu spät", warnt Herpig. Bis zur Europawahl sind es nur noch zehn Wochen.
Russlands Cyberangriffe auf den Westen unvermindert
Russland betreibe seine Cyberspionage nach wie vor in großem Maßstab, sagt Herpig weiter: Das Abgreifen von Daten über neue Phishing-Kampagnen ziele vor allem auf die E-Mail-Accounts westlicher Politiker und Mitarbeiter der NATO. "Dass nicht nur offizielle Accounts übernommen oder gehackt werden, sondern auch private Accounts von Politikern, deckt sich mit unseren Analysen."
Der jüngste Bericht des estnischen Geheimdienstes sende wichtige Signale, findet Herpig. "Ich würde mich freuen, wenn die deutschen Sicherheitsbehörden einen gemeinsamen Bericht veröffentlichen würden, etwa durch das Cyberabwehrzentrum." So wie in den USA, wo nach den Wahlen 2016 alle Sicherheits- und Geheimdienstbehörden gemeinsam einen Bericht verfasst hatten. "Das wäre auch bei uns in Deutschland sehr wünschenswert."