EU-Sondergipfel in Brüssel Zähes Ringen um die neuen Spitzenämter
Kaum ist der Lissabon-Vertrag endlich unter Dach und Fach, stehen die 27 Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union vor dem nächsten Dilemma: Wer soll die beiden durch den Vertrag entstandenen EU-Spitzenposten besetzen? Auf einem Sondergipfel in Brüssel wollen sie sich heute einigen.
Von Andreas Reuter, HR-Hörfunkstudio Brüssel
Noch vor ein bis zwei Wochen schien alles so schön übersichtlich: Der Brite David Miliband wird wohl neuer EU-Außenminister, und ständiger Ratspräsident wird einer der drei Regierungschefs der Benelux-Staaten, vorzugsweise der Belgier Herman van Rompuy. Inzwischen hat der Brite definitiv abgesagt, und der Belgier war eigentlich schon viel zu lange Favorit, als dass er nicht auch schon wieder beschädigt wäre.
Zumal selbst seine eigenen Landsleute sich gern über die Kandidatur ihres Ministerpräsidenten lustig machen. So betont der flämische Europa-Abgeordnete Philip Claeys: "Er ist unscheinbar, er hat wenig Feinde und er kann gut Kompromisse schließen. Und dahinter steht wohl die Logik: Wer so ein künstliches Land wie Belgien regieren kann, der kann auch Europa regieren."
Ewiger Favorit - Belgiens Ministerpräsident Herman van Rompuy.
Dabei könne doch kein Europäer daran interessiert sein, dass die EU zu einem überdimensionalen Belgien werde, fügt Claeys hinzu. Nun also herrscht Ratlosigkeit. Nur noch wenige Stunden, und kein europäisches Spitzen-Duo in Sicht.
Alles ist offen
Auch die schwedische Europa-Ministerin Cecilia Malmström gibt sich skeptisch. Sie wolle zwar nicht von einem totalen Durcheinander sprechen, aber es gebe noch keine Einigung. "Und wenn die Situation eintreten sollte - ich sage nicht, dass sie das wird - aber wenn wir am Donnerstag immer noch keine Entscheidung haben, dann muss die Präsidentschaft die Lage bewerten." Diese müsse dann bestimmen, ob weiterverhandelt wird. "Es gibt ja noch Freitag, es gibt Samstag und den Sonntag." Die Verhandlung könne aber auch unterbrochen werden, dann müsse man eben später erneut zusammentreten, so Malmström.
Immer mehr Namen machen die Runde: Jan-Peter Balkenende aus den Niederlanden oder Jean-Claude Juncker aus Luxemburg, Wolfgang Schüssel aus Österreich oder Paavo Lipponen aus Finnland, sie alle werden als Ratspräsidenten gehandelt. Und weil der Ruf nach einer Frau auf dem Chefsessel immer lauter wird, auch Vaira Vike-Freiberga aus Lettland oder Dalia Grybauskaite aus Litauen.
Wer wird "Außenminister" der EU?
Etwas übersichtlicher ist der Kreis der Außenminister-Kandidaten - weil Europas Sozialdemokraten diesen Posten für sich beanspruchen und sie nicht so viele Bewerber vorzuweisen haben. Ihr Favorit Massimo D'Alema aus Italien jedenfalls stößt nicht nur in Ost-Europa auf Widerstand, weil er früher Kommunist war.
Er ist auch bei deutschen Konservativen, wie Manfred Weber, CSU-Abgeordneter und Fraktions-Vize der EVP im Europa-Parlament, umstritten: "In unserer Partei gibt es viele, die darauf hinweisen, dass jeder der eine Aufgabe in der europäischen Spitzenpolitik übernimmt, sich auch zu seiner Vergangenheit befragen lassen muss."
Merkel lässt sich nicht in die Karten blicken
Und weil die Kandidaten nun schon seit Tagen reihenweise aufgebaut und wieder demontiert werden, wäre es auch keine wirkliche Überraschung mehr, wenn nach langer Gipfel-Nacht zwei Kandidaten gekürt würden, die noch niemand auf dem Zettel hatte. Bundeskanzlerin Angela Merkel jedenfalls lässt sich nicht in die Karten blicken. Am Vortag des Sondergipfels verriet sie nur so viel: "Ich sage mal voraus, dass Deutschland und Frankreich gemeinsam abstimmen werden und nicht gegeneinander." Es gebe noch keine Ergebnisse zu vermelden. "Aber ich bin optimistisch, dass wir morgen Abend zu einem Ergebnis kommen."
Belgische Zeitungsmeldungen aber, dass sie sich mit Sarkozy bereits auf den Belgier Herman van Rompuy als Ratspräsidenten geeinigt habe, wurden umgehend dementiert.