30 Jahre Eurotunnel Ein Durchbruch in vielerlei Hinsicht
Er ist ein Meisterwerk der Ingenieurskunst: Der Eurotunnel. Rund 50 Kilometer ist er lang, 37 Kilometer verläuft er unter Wasser. Heute vor 30 Jahren fuhr der erste Zug aus Großbritannien im nordfranzösischen Calais ein.
Am 6. Mai 1994 bewegen sich zwei Züge erst schnell, dann immer langsamer aufeinander zu. In dem einen sitzt der französische Präsident Francois Mitterand, in dem anderen Königin Elisabeth II. Feierlich kommt man während der Jungfernfahrt auf der Strecke vor Calais zum Stehen.
Die Queen eröffnet den Eurotunnel - damals in perfektem Französisch: "Die Verbindung von französischem Elan und britischem Pragmatismus hat ein Wunder vollbracht." Ein Wunder, das allen zugute komme, betont Präsident Mitterand etwas steif: "Was zwischen Großbritannien und Frankreich geschieht, ist für Europa und seine Zukunft nicht unbedeutend."
NIcht einen Penny von Margaret Thatcher
Dabei musste das kühne Projekt eines Tunnels unter dem Ärmelkanal, von dem erstmals im Jahr 1802 die Rede war, einige Hürden nehmen, bevor es schließlich Wirklichkeit wurde. Premierministerin Margaret Thatcher weigerte sich, den Bau öffentlich zu fördern. "Not a public penny" werde der britische Staat zuschießen, gibt sie zu verstehen. Also tragen private Firmen das gesamte Risiko.
Und nach sieben Jahren Bau ist es dann so weit: der Durchbruch - live im britischen Fernsehen. Bewegt strecken die beiden Tunnelarbeiter Graham Fagg und Philippe Cozette ihre Hände durch das Loch. Der Champagner fließt in Strömen. Und in Anspielung an das französisch-britische Aussöhnungsabkommen 1904 - die "Entente cordiale" - witzelt der britische Reporter, das Einvernehmen sei sehr herzlich: "The entente is very cordial."
Ein Weg auch für Flüchtende
Doch die Euphorie verfliegt schnell. Die Kosten explodieren.15 Milliarden Euro verschlingt das Projekt. Kleinanleger verlieren viel Geld. Erst als es dem neuen Chef Jacques Gounon 2007 gelingt, einen Schuldenschnitt zu verhandeln, sieht das Unternehmen Licht am Ende des Tunnels. Doch die nächste Krise ist nicht weit: Immer mehr Flüchtende nutzen den 50 Kilometer langen Tunnel, um nach Großbritannien zu gelangen.
Zwischen Juni und Oktober 2015 sollen es nach Angaben der französischen Regierung zwischen 50.000 und 60.000 Menschen auf das Terminalgelände oder in den Tunnel geschafft haben. Der damalige französische Innenminister Bernard Cazeneuve nimmt die Betreibergesellschaft in die Pflicht: "Der Staat übernimmt Verantwortung. Wir decken Schleuser auf, schaffen Notunterkünfte, entfernen irreguläre Migranten, kümmern uns um Asylbewerber. Auch die Gruppe Eurotunnel muss ihrer Verantwortung nachkommen. Vor allem auf ihrem eigenen Gelände", forderte er.
Heute sichern vier Meter hohe Mauern den Tunneleingang und andere sensible Punkte. Drohnen, unterirdische Bewegungsmelder, Scanner, 600 Kameras und 300 Sicherheitskräfte wachen darüber, dass niemand mehr unerlaubt durch den Tunnel kommt. Nach dem Flüchtlingsansturm folgen weitere Krisen. Erst der Brexit, dann Corona.
Das Ziel: Mehr Züge
Heute sieht Konzernchef Yann Leriche vor allem ein Problem: "Nicht der Brexit macht uns heute noch zu schaffen, sondern die unfaire Konkurrenz einiger Fähren. Die betreiben Sozial-Dumping und bezahlen ihre Mitarbeiter 60 Prozent unterhalb der Lohnuntergrenze. Dass man so billig übersetzen kann, spüren wir natürlich bei unseren Buchungen."
Dennoch steht es heute viel besser um das Unternehmen als zu Beginn. 2023 stieg der Umsatz um 14 Prozent auf 1,8 Milliarden Euro. Dazu beigetragen hat auch ein neues Geschäftsfeld - seit zwei Jahren führt ein Starkstromkabel durch den Tunnel. Das hat über 420 Millionen in die Kasse gespült.
Konzernchef Leriche aber will vor allem eines erreichen: Dass mehr Züge durch den Tunnel fahren. Schließlich sei der Zug das umweltschonendste Transportmittel überhaupt: "Heute fahren 400 Züge pro Tag durch den Tunnel, Personenzüge und Frachtzüge. Es könnten aber 1.000 am Tag sein." Dafür nimmt er neue Ziele ins Visier: etwa Köln, Frankfurt, Genf oder Zürich.