Antisemitismus-Vorwürfe Die EU und ihr Abbas-Problem
Auch in Brüssel ist das Entsetzen über die antisemitischen Äußerungen von Palästinenserchef Abbas groß. Für Brüssel ist es ein bekanntes Problem - auch, weil die EU der größte Geldgeber für die Palästinenser-Behörde ist.
Entsetzen auch in der Brüsseler EU-Kommission über den Auftritt von Palästinenserchef Mahmut Abbas in Berlin. Inakzeptabel sei das gewesen, so hieß es in einer offiziellen Stellungnahme der Kommission. Wer den Holocaust verzerre, nähre den Antisemitismus.
Die Europaabgeordnete Nicola Beer will es nicht bei solchen Worten belassen, sie fordert Konsequenzen: "Wer wie Abbas das Holocaust-Gedenken in den Schmutz zieht", sagt die FDP-Politikerin, dürfe nicht davon ausgehen, "dass EU-Finanzhilfen für die palästinensische Autonomie-Behörde ein Selbstläufer bleiben."
Kaum jemand bekommt so viele Finanzhilfen
Regelmäßig überweist die EU Geld nach Ramallah, an die Palästinensische Autonomiebehörde, an deren Spitze Abbas steht. Jedes Jahr ungefähr 600 Millionen Euro. Pro Kopf gerechnet bekommen nur wenige andere Länder weltweit so viel Unterstützung von den Europäern. "Angesichts der Tragweite des Vorfalls", so Nicola Beer, "sollte die Europäische Union erwägen, Gelder befristet zurückzuhalten".
Sollten die Überweisungen aus Brüssel tatsächlich gekürzt werden, und sei es nur auf Zeit, hätte das schwerwiegende Folgen für Palästinenserchef Abbas. Ein großer Teil seines Haushalts wird aus EU-Mitteln finanziert - mehr als die Hälfte, schätzten Beobachter. Palästinensische Lehrer und Ärzte werden davon bezahlt, Polizeikräfte ausgebildet und die Infrastruktur ausgebaut, Krankenhäuser und die Energieversorgung.
Von anderen Geldgebern kommt dagegen seit Jahren immer weniger. Die internationale Finanzhilfe für die Palästinenser ist nach Angaben der Weltbank stark zurückgegangen - auch, weil die arabischen Bruderländer deutlich weniger Interesse zeigen am Schicksal der Palästinenser. Einige haben diplomatische Beziehungen zu Israel aufgenommen.
Von der Leyen erst vor zwei Monaten in Ramallah
Dagegen reiste Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor zwei Monaten persönlich nach Ramallah, um der Autonomiebehörde weitere Unterstützung zuzusagen. Vor Ort resümierte sie: Seit Jahren schon unterstütze die Europäische das palästinensische Volk, und damit sei die EU "der größte Geldgeber in Palästina". "Sehr froh" sei sie, nun ankündigen zu können, dass die Gelder für 2021 schnell verteilt werden. "Alle Schwierigkeiten sind beseitigt".
Schwierigkeiten hatte es in der Tat gegeben. Monatelang wurde in Brüssel um die Überweisungen an die Abbas-Behörde gerungen. Ein Teil der Gelder war blockiert. Der Grund: Israel-feindliche Darstellungen in palästinensischen Schulbüchern, Gutachter sprachen von offenem Antisemitismus. Dass die Gelder aus Brüssel inzwischen trotzdem wieder fließen, dürfte vor allem humanitäre Gründe haben. Die Krankenhäuser in den Gebieten hatten schlicht kein Geld mehr für Medikamente und lebensrettende Behandlungen.
Ein Balance-Akt für die EU
Für die EU ist der Umgang mit Palästinenserchef Abbas ein ständiger Balance-Akt. Dass er Lügen über den Holocaust verbreitet, sieht man in Brüssel schon länger. Und mit Sorge sieht man auch, dass er notorisch jede demokratische Wahl verhindert - seit 17 Jahren schon.
Die Wahlen dürften jetzt nicht mehr verschoben werden, forderte ein Sprecher der EU-Kommission Ende April - da war gerade der Wahltermin für den Mai abgesagt worden. "Gewählte Institutionen sind wichtig für die öffentliche Verwaltung in Palästina", erklärte der Kommissionssprecher.
Abbas spekuliert
Palästinenserchef Abbas war nicht beeindruckt. Der 87-Jährige denkt nicht daran abzutreten und hetzt seine Sicherheitskräfte auf Kritiker. Abbas spekuliert darauf, dass die europäischen Gelder weiter fließen - weil man sich in Brüssel der humanitären Notlage der palästinensischen Bevölkerung bewusst ist und Verantwortung dafür übernimmt. Außerdem ist die Alternative zu Abbas die rivalisierende Hamas - ein Alptraum für Israels Sicherheit.
Was der Kommissionssprecher mit seinem vorsichtigen Hinweis auf die Vorzüge demokratischer Wahlen auch andeuten wollte: Die Korruption in der Autonomiebehörde ist ein wachsendes Problem aus Brüsseler Sicht. Kritiker warnen, dass EU-Gelder auch in die Unterstützung der Familien von Attentätern und Terroristen gehen könnten. Oder direkt in die Taschen der Palästinenser-Spitzen rund um Abbas.