Vorwürfe nach Angriff auf Kiew "Die Schutzräume wurden einfach nicht geöffnet"
Nach dem russischen Raketenangriff auf Kiew mit drei Toten und mehreren Verletzten erheben Betroffene schwere Vorwürfe: Ein Luftschutzraum sei verschlossen gewesen. Laut Bürgermeister Klitschko gibt es widersprüchliche Angaben. Er verspricht Aufklärung.
Sie liegen noch im Gras, bedeckt mit schwarzem Plastik: die Toten dieser jüngsten Angriffsnacht, in der Russland die Ukraine und ihre Hauptstadt Kiew angegriffen hat. Mal wieder. Dieses Mal mit insgesamt zehn ballistischen Iskander-Raketen und Marschflugkörpern, die von der ukrainischen Flugabwehr abgefangen werden konnten.
Doch auch dieses Mal waren die brennenden schweren Trümmer, die nach dem Abschuss herunterfielen, tödlich. Sie trafen das linke Ufer des Flusses Dnipro, im Stadtteil Desnyanski kamen mindestens drei Menschen durch Teile einer Iskander-Rakete ums Leben. Zehn Menschen wurden nach bisherigen Angaben verletzt. Getötet wurden ein neunjähriges Mädchen und ihre Mutter sowie eine Frau Mitte 30.
Diesem Zeichen an der Wand können Menschen bei Luftalarm folgen - so finden sie die Schutzräume.
Augenzeuge berichtet von geschlossenem Schutzraum
Der Ehemann der Mitte 30-jährigen Getöteten ist erschüttert - auch weil die Türen zum lebensrettenden Schutzraum geschlossen gewesen seien. "Es gab Luftalarm und die Menschen rannten zum Schutzraum. Aber die Schutzräume wurden einfach nicht geöffnet. Die Leute haben geklopft und zwar sehr laut. Es waren Frauen und Kinder dort und niemand hat aufgemacht. Auch meine Frau und mein Kind. Dem Kind geht es gut, aber meine Frau ist tot", berichtete der Mann.
Er sei auch dort gewesen. Seinen Angaben nach rannte er auf die andere Seite des Luftschutzraums, um jemanden zu holen, der die Tür öffnet. In dem Moment sei es passiert.
Strafverfahren wegen fahrlässiger Tötung eingeleitet
Der besagte Schutzraum liegt in der Nähe eines Krankenhauses, das ebenfalls beschädigt wurde. Er sei sehr groß und viele hätten am Eingang gestanden, berichtet eine Anwohnerin. War der Schutzraum abgeschlossen und wurde auch nach Beginn des nächtlichen Luftalarms nicht geöffnet? Darüber gibt es unterschiedliche Aussagen.
Schutzräume müssten rund um die Uhr geöffnet bleiben, das erklärte der ukrainische Innenminister Ihor Klymenko. Die Verantwortlichen würden zur Rechenschaft gezogen und die Kiewer Polizei habe ein Strafverfahren wegen fahrlässiger Tötung eingeleitet.
Ebenfalls von Raketenteilen beschädigt: Eine Klinik im Viertel Desnjanskyj in Kiew.
Bürgermeister Klitschko verspricht schnelle Ermittlungen
Auch Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko äußerte sich am Abschussort. Es gebe unterschiedliche Informationen darüber, ob der Schutzraum offen gewesen sei oder nicht, sagte er. Klitschko betonte:
Wir werden schnell ermitteln. Ich möchte noch einmal sagen, dass die Staatsanwaltschaft, der Geheimdienst und die Nationalpolizei an den Ermittlungen beteiligt sind. Alles wird untersucht werden. War der Schutzraum geschlossen oder nicht? Die Explosion hat alle Türen völlig zerstört, und es ist offensichtlich unmöglich, dies sofort festzustellen.
Anhaltende Angriffe belasten die Menschen sehr
Die todbringenden russischen Raketen und Drohnenangriffe belasten die Menschen in der Ukraine schwer. Angesichts des möglicherweise geschlossenen Schutzraums und des Todes von Angehörigen verlor Tetjana die Fassung. Im blaugemusterten T-Shirt stand die ältere Dame vor dem Zweimetermann Klischko und ließ ihrer Trauer und Wut freien Lauf: "Die Schutzräume müssen rund um die Uhr geöffnet sein. Sie sind immer dorthin gelaufen und heute Nacht war abgeschlossen. Wie kann das sein?"
Bürgermeister Klitschko drückte sein Beileid aus und versicherte, es werde schnell ermittelt. "Ich brauche ihr Beileid nicht!", rief die Dame daraufhin verzweifelt. "Jeder weiß, dass abgeschlossen war! Es wird ermitteln? Suchen Sie nach den Schuldigen", forderte die Frau. Bürgermeister Klitschko erklärte, alle Schutzräume, die in der Verantwortung von Bezirksvorstehern lägen, würden umgehend überprüft. Auch die Polizei werde bei nächtlichen Patrouillen prüfen, ob Schutzräume offen seien.
Bei den Angriffen mit bodengestützten Raketen aus Russland wurden auch Wohnhäuser in Kiew beschädigt.
Kiew sagt Veranstaltungen zum Tag des Kindes ab
Im Mai wurde alleine die Region um Kiew 17 Mal angegriffen. Russische Raketen, Drohnen oder Artillerie trafen im vergangenen Monat auch die Regionen Charkiw im Osten, Chmelnizkyj im Westen oder Sumy im Nordosten des Landes.
Nun hat auch der Juni mit Toten und Verletzten begonnen - ein kleines Mädchen starb. Die Stadt Kiew hat inzwischen alle Veranstaltungen zum Tag des Kindes abgesagt - und am Vormittag gab es in Kiew wieder Luftalarm.