Urteil in Belarus erwartet "Maria, du bist eine Heldin"
Die belarusische Oppositionspolitikerin Kolesnikowa ist eines der prägendsten Gesichter der Proteste gegen Machthaber Lukaschenko. Ihr droht heute eine langjährige Haftstrafe. Ihren Kampfeswillen hat sie dennoch nicht verloren.
Maria Kolesnikowa, die Frau mit den raspelkurzen, blonden Haaren und dem knallroten Lippenstift, die Hände zu einem Herz geformt: Sie ist eines der prägnantesten Gesichter der Massenproteste gegen den belarusischen Machthaber Lukaschenko. Von Maskierten verschleppt und zur ukrainischen Grenze verfrachtet, sollte sie im vergangenen Jahr dazu gezwungen werden, ihre Heimat zu verlassen. Aber Maria Kolesnikowa widersetzte sich, riss ihren Pass demonstrativ in Fetzen und wurde damit endgültig zu einer Heldin der belarusischen Demokratiebewegung.
"Maria hat mich mit ihrer Energie aufgeladen"
"Maria, du bist eine Heldin", skandierten die Demonstrierenden in Minsk nach Kolesnikowas Festnahme. Die Proteste gegen Lukaschenko hielten sich noch ein paar Monate, aber erloschen gegen Ende des Jahres, nachdem alle führenden Köpfe der Demokratiebewegung entweder ins Ausland geflohen waren oder in Haft saßen.
Für Lukaschenkos Gegenkandidatin Swetlana Tichanowskaja, die sich als eigentliche Siegerin der Präsidentschaftswahl in Belarus sieht, war Kolesnikowa eine ganz entscheidende Persönlichkeit im Kampf für ein demokratisches Belarus. Aus dem Exil heraus würdigte sie ihre Mitstreiterin. "Ich war damals zu unentschieden, zu unsicher. Aber Maria hat mich mit ihrer Energie und mit ihrem Glauben aufgeladen", sagte Tichanowskaja. "Sie hat uns immer beruhigt: 'Alles wird gut! Wir dürfen keine Angst haben! Wir werden gewinnen!'"
Es drohen zwölf Jahre Haft
Jetzt sitzt Maria Kolesnikowa zusammen mit dem Anwalt Maxim Snak auf der Anklagebank. Snak gehörte dem Vorstand des Koordinierungsrates der Demokratiebewegung an. Beiden wird unter anderem die Gefährdung der nationalen Sicherheit, ein Komplott zur verfassungswidrigen Machtergreifung sowie die Bildung einer extremistischen Organisation vorgeworfen. Ihnen drohen bis zu zwölf Jahre Haft. Aus dem Gefängnis heraus hielt Kolesnikowa ständigen Kontakt zu ihrem Vater, schrieb ihm regelmäßig Briefe und zeigte keine Spur von Pessimismus - sondern demonstrierte Kampfeswillen.
Vor Gericht habe sie wie auch der Mitangeklagte Maxim Snak nicht klein bei gegeben, sagt ihre Anwältin Nadezhda Snak. "Wir haben diese Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, Offenheit erlebt, die Maria und Maxim demonstriert haben. Ihre bürgerliche Einstellung, ihre höchst moralischen Eigenschaften, ihre Liebe zum Mutterland, ihre Achtung vor dem Gesetz", sagt sie. "In diesem Fall möchte ich wirklich, dass die Gerechtigkeit und das Gesetz Vorrang haben, damit sie freigesprochen werden."
Niemand glaubt an einen Freispruch
Ein Freispruch wäre eine Sensation, an die niemand glauben mag. Beobachter wie der belarusische Politologe Valerij Karbalewitsch, der selbst auch ins Ausland geflohen ist, gehen von einer mehrjährigen Haftstrafe aus. "Nun, sie werden schuldig gesprochen, sie werden eine wirklich lange Haftstrafe bekommen", sagt er. Man müsse nur die Paragrafen betrachten, wegen derer sie sich verantworten müssten. "Die sind wirklich hart, ihnen drohen zwölf Jahre. Ich kann nicht prognostizieren, wie viele Jahre sie konkret bekommen werden, aber dass sie schuldig gesprochen werden, daran besteht kein Zweifel."
Die Anwälte von Kolesnikowa und Snak würden in einem solchen Fall in Berufung gehen, auch wenn die Aussicht auf Erfolg äußerst gering ist. Ein Wiederaufflammen der Proteste hält Karbalewitsch für ausgeschlossen. "Ich glaube, dass Protest in nächster Zukunft nicht auf der Agenda steht. Aus vielen Gründen: wegen psychologischer Resignation, wegen massenhafter Repressionen. Wer jetzt auf die Straße geht muss mit harten Folgen wie Strafverfolgung rechnen, was es letztes Jahr so noch nicht gegeben hat", sagt er.
Und schließlich hätten etwa 200.000 Belarusen seit dem vergangenen Jahr das Land verlassen. Sie hätten zum Fundament der Proteste gehört.