Blinken in der Ukraine Rocken für eine "freie Welt"
Die USA stehen militärisch und politisch fest hinter der Ukraine - das hat Außenminister Blinken bei seinem Besuch in Kiew auf ungewöhnliche Weise unterstrichen. Der ukrainische Präsident Selenskyj bat die USA um weitere "Patriot"-Systeme.
Es ist Antony Blinkens vierter Besuch in der Ukraine seit Kriegsbeginn im Februar 2022. Überraschend war der US-Außenminister am Dienstag mit dem Zug in der Hauptstadt Kiew angekommen. Hier sprach er jedoch nicht nur über mögliche weitere US-Waffenlieferungen, sondern ließ sich auch einen ungewöhnlichen musikalischen Auftritt nicht nehmen.
In einer der vielen Untergrund-Bars der Stadt, wo der 62-Jährige dem Auftritt einer ukrainischen Band lauschte, betrat er plötzlich unerwartet die Bühne und Griff selbst zur Gitarre. "Ich weiß, das sind wirklich schwere Zeiten", sagte der US-Chefdiplomat. "Ihre Soldaten, Ihre Bürger, vor allem im Nordosten, in Charkiw, leiden sehr. Aber Sie müssen wissen, dass die Vereinigten Staaten an Ihrer Seite stehen, dass ein großer Teil der Welt an Ihrer Seite steht", fuhr er fort.
"Sie kämpfen nicht nur für eine freie Ukraine, sondern auch für eine freie Welt, und eine freie Welt steht an Ihrer Seite", sagte Blinken. Um seine Aussagen auch musikalisch zu untermauern, stimmte der US-Außenminister dann gemeinsam mit der Band Neil Youngs "Rockin' in the Free World" an.
Selenskyj fordert "Patriot"-Systeme
Zuvor war Blinken mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sowie dem Außenminister Dmytro Kuleba zusammengekommen. Selenskyj nutzte das Treffen, um neue "Patriot"-Flugabwehrsysteme für die von Russland bedrohte Großstadt Charkiw zu fordern. Zum Schutz der Stadt und ihres Umlands vor Drohnen und Raketen seien zwei dieser Systeme notwendig. Die US-Hilfe für den Abwehrkampf sei von entscheidender Bedeutung. Dabei sei die Flugabwehr das größte Defizit, sagte Selenskyj.
Blinken bekräftigte seinerseits die Unterstützung der USA gegenüber den Ukrainern. Erste Waffenlieferungen aus im April beschlossenen Militärhilfen für die Ukraine seien unterwegs oder zum Teil bereits eingetroffen. "Das wird auf dem Schlachtfeld einen realen Unterschied machen gegen die russische Aggression", sagte der Diplomat. Weitere Details nannte er nicht.
Der US-Kongress hatte im April nach monatelanger Blockade ein Hilfspaket im Umfang von 61 Milliarden Dollar (rund 56 Milliarden Euro) für die ukrainische Armee bewilligt, die in den vergangenen Monaten aus Mangel an Munition und an Soldaten in die Defensive geraten war.
"Brauchen schnellere Waffenlieferungen"
Nach dem Treffen mit Blinken rief Selenskyj die westlichen Verbündeten Kiews in seiner abendlichen Ansprache dazu auf, Waffen und Flugabwehrsysteme angesichts der neuen russischen Offensive im Nordosten der Ukraine zügig zu liefern.
"Wir brauchen eine spürbare Beschleunigung der Lieferungen", sagte Selenskyj. "Jetzt vergeht zuviel Zeit zwischen der Ankündigung von Paketen und dem tatsächlichen Auftauchen von Waffen an der Front."
Russland rückt in der Region Charkiw vor
Ukrainische Soldaten geraten in der Region Charkiw derzeit durch die russische Offensive zunehmend in Bedrängnis. Am Montag räumte der Generalstab in Kiew taktische Erfolge der russischen Truppen in der Region im Nordosten der Ukraine ein. Die russische Armee hatte am Freitag nach ukrainischen Angaben von Russland aus eine Bodenoffensive in der Region gestartet.
Am Dienstag meldeten Behörden mindestens 20 Verletzte nach russischen Angriffen auf die zweitgrößte ukrainische Stadt. Unter den Opfern in Charkiw seien drei Kinder. Demnach habe es mehrere Luftangriffe gegeben, die die Stadt im Laufe des Tages erschütterten und auch ein mehrstöckiges Wohnhaus getroffen haben sollen.
Landesweit kam es zudem angesichts der Angriffe auf Energieanlagen zu Einschränkungen bei der Stromversorgung. Wie der Energieversorger Ukrenerho mitteilte, gab es von Dienstagabend bis Mitternacht für mehrere Stunden "in allen Regionen der Ukraine kontrollierte Notabschaltungen". Für Industriekunden sollten die Einschränkungen auch am Mittwoch noch anhalten, hieß es. Grund sei ein "erheblicher Strommangel" durch russischen Beschuss und eine erhöhte Nachfrage an kalten Tagen.
In einer ersten Version schrieben wir, Blinken habe Neil Youngs Song "Rockin' for a Free World" gespielt. Tatsächlich lautet der Titel des Liedes "Rockin' in the Free World". Wir haben den Fehler korrigiert.
Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen