EU-Kommission unter Druck Regeln im Graubereich
Seit Monaten beschäftigt sich die EU mit dem Korruptionsskandal und seinen Nachwehen. Nun stehen gegen einen hochrangigen Beamten der Kommission neue Vorwürfe im Raum. Die EU-Ombudsfrau O'Reilly fordert Aufklärung.
Henrik Hololei war seit 2015 Generaldirektor für Mobilität und Verkehr. Als seine Direktion ein wichtiges Luftverkehrsabkommen mit Katar verhandelte, nahm er nicht nur Einladungen in das Emirat an, ließ sich teure Flüge und Hotelaufenthalte von Katar bezahlen - er genehmigte sich alles auch noch selbst.
Recherchen des Magazins "Politico" brachten den Fall Anfang März ans Licht und zogen damit die EU-Kommission in die Affäre um die mutmaßliche Einflussnahme aus Katar und Marokko auf politische Entscheidungen des Europaparlaments.
Regelkonform selbst genehmigt
Was die Sache besonders brisant macht, ist: Alles geschah innerhalb der Regeln, die für die Kommission gelten - der Generaldirektor hatte sich also nicht einmal regelwidrig verhalten. Dabei sollte das "Open Skies"-Abkommen, über das sein Team verhandelte, Katar "die Bewegungsfreiheit innerhalb des europäischen Luftraums erlauben", hebt EU-Ombudsfrau Emily O'Reilly im Interview mit der ARD hervor.
"Es besteht also zumindest der Eindruck, dass es einen Interessenskonflikt gab", kritisiert O'Reilly. Sie hat die EU-Kommission zu einer umfassenden Aufklärung des Falls aufgefordert.
Nur ein Einzelfall?
O'Reilly treibt dabei auch der Verdacht um, bei Hololei könne es sich nicht um einen Einzelfall handeln. Wenn Hololei sich während wichtiger Verhandlungen von der Gegenseite einladen ließ und damit nicht gegen Vorschriften verstieß, gab es dann möglicherweise weitere, ähnlich gelagerte Fälle?
Die Kommission, eine Behörde mit tausenden Mitarbeitern, entscheidet mit über die Vergabe von gewaltigen Geldsummen. Derzeit geht es zum Beispiel um die Gelder aus dem Wiederaufbaufonds - immerhin fast 750 Milliarden Euro.
O'Reilly sagt, sie sei sich "sicher, dass wir in den kommenden Jahren herausfinden werden, dass ein Teil des Geldes in die falsche Richtung geflossen ist". Wo aber müssten Untersuchungen ansetzen? "Sie müssen dem Geld folgen", sagt O'Reilly.
Zahnloses "Ethik-Gremium"
Als die schweren Korruptionsvorwürfe gegen Mitglieder des Europaparlaments bekannt wurden, empfahl die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dem Parlament ein Ethikgremium gegen Fehlverhalten und verwies auf ein entsprechendes dreiköpfiges Gremium der Kommission.
O'Reilly hält genau dieses Gremium aber für kein gutes Vorbild. "Die Personen können nicht unabhängig handeln", sagt die Ombudsfrau, sie müssten beauftragt werden, etwas zu untersuchen, dann gäben sie eine Empfehlung ab, die aber nicht allgemein veröffentlicht werde.
Zudem entscheide die Präsidentin selbst, ob sie den Empfehlungen des Gremiums folge - oder aber nicht.
Dabei prüft die Kontrollinstanz weitgehend im Rahmen der Vorgaben der Kommission. Was aber bringt eine Kontrolle von Regeln, die es einem Generaldirektor erlauben, ohne Vier-Augen-Prinzip Einladungen von Katar anzunehmen, während seine Direktion Verhandlungen mit demselben Land führt? Für O'Reilly ist klar: Die Möglichkeiten des Ethikgremiums sind zu lasch.
Neue Funktion, gleiche Institution
Immerhin hat die Kommission die Regeln offenbar geändert. Und Hololei ist vor wenigen Tagen von seinem Amt zurückgetreten, bleibt aber Mitarbeiter der Kommission.
Die Frage bleibt, ob andere so gehandelt haben, wie er - das will auch O'Reilly von der Kommission wissen. "Ich hoffe nicht", sagt die Ombudsfrau zwar, sie wolle "nicht vorschnell urteilen".
Die Tatsache, dass die Kommission die Regeln geändert hat, hält sie aber für ein Eingeständnis, dass es ein Problem gegeben hat. Wie groß das Problem ist, wird in den kommenden Wochen deutlicher werden, in der Kommission und im Parlament, wo viele Ermittlungsergebnisse noch ausstehen.
Ein Jahr vor der Europawahl droht ein weiterer enormer Vertrauensverlust in die EU-Institutionen.