Treffen der EU-Innenminister Kinderschutz im Netz in der Sackgasse - was nun?
Die EU-Debatte um den Schutz Minderjähriger vor sexualisierter Gewalt im Netz ist verfahren. Heute wird die EU-Kommission den Innenministern vorschlagen, wenigstens eine Übergangsregelung zu verlängern. Doch auch daran gibt es Kritik.
Die Zahlen sind erschreckend, der Handlungsdruck groß: Mehr als 85 Millionen Bilder und Videos zu sexualisierter Gewalt gegen Kindern haben Internetfirmen weltweit zuletzt gemeldet. Die Dunkelziffer dürfte riesig sein. Aber politisch geht in der Europäischen Union kaum etwas voran. Die EU-Kommission will Internet-Plattformen am liebsten verpflichten, private Chatnachrichten nach Missbrauchsbildern zu durchsuchen.
Nicht mit uns, erklärte erneut der deutsche Justizminister Marco Buschmann zum Auftakt der Treffen der Innen- und Justizminister. "Die Chatkontrolle ist Teil eines Dossiers, das ein gutes Ziel verfolgt, nämlich die Bekämpfung von Missbrauchsdarstellung von Kindern", stellte Buschmann klar. "Was aber nicht in Ordnung ist, ist, wenn demnächst jede private Kommunikation im Netz staatlich anlasslos überwacht werden soll. Wir haben uns als deutsche Bundesregierung dagegen ausgesprochen."
In anderen EU-Staaten gilt eher die Losung: Um gegen den stetig wachsenden Berg an Missbrauch-Material anzukämpfen, sind viele Mittel recht, auch dieses. Denn wohlgemerkt: Mehr als 60 Prozent des bekannten Missbrauchs-Material liegt derzeit laut Internet Watch Foundation auf Servern innerhalb der EU.
Juristen warnen vor grundgesetzwidrigem Eingriff
Aber auch viele Juristen haben Bedenken: Ein Scannen auch verschlüsselter Kommunikation könnte ein grundgesetzwidriger Eingriff sein. Anderen zweifeln an der Wirksamkeit. Und nun?
Das Parlament immerhin habe seine Position gefunden: gegen die Chatkontrolle, aber für alternative Vorschläge, argumentiert der Europaabgeordneten der Piratenpartei, Patrick Breyer. "Eine wirklich wirksame Schutzmaßnahme, die auch vor Gericht Bestand hätte, wären Vorgaben zur sicheren Gestaltung von Internetdiensten. Um der sexuellen motivierten Ansprache von Minderjährigen im Netz vorzubeugen: Nur auf Wunsch des Nutzers sollte dieser öffentlich sichtbar und ansprechbar sein. Vor dem Verschicken von Kontaktdaten oder gar von Nacktbildern sollte aufgeklärt und rückgefragt werden durch die App."
Debatte um allerkleinsten gemeinsamen Nenner
Dazu sollte ein EU-Kinderschutzzentrum proaktiv die öffentlich abrufbaren Inhalte durchsuchen, so die Innenexpertin der CDU/CSU-Fraktion im Europaparlament, Lena Düpont: "Insofern haben wir damit ein Signal auch an den Rat gesetzt, sich jetzt endlich zusammenzusetzen und zu einer Lösung zu kommen."
Im Rat der 27 EU-Staaten steht aber - wegen Uneinigkeit und Blockade - jetzt nur der allerkleinste gemeinsame Nenner zur Debatte. Die EU-Kommission schlägt vor, wenigstens eine Ausnahmeregelung um weitere Jahre verlängern: Diese erlaubt Facebook, Google und Co. heute schon, die nicht-verschlüsselten Inhalte ihrer Nutzer auf Kindesmissbrauch-Bilder zu scannen und zu melden.
Dagegen klagte der Europaabgeordnete Breyer bereits. Diese freiwillige Chatkontrolle leiste nämlich keinen nennenswerten Beitrag zur Überführung von Missbrauchstätern. "Sondern sie kriminalisiert Tausende von Minderjährigen, sie überlastet Strafverfolger und öffnet einer willkürlichen Privatjustiz der Internetkonzerne Tür und Tor", so der Abgeordnete.
Übergangslösung kann schnell ineffektiv werden
Und ganz praktisch gesprochen könnte die Übergangslösung der EU ganz schnell zum ganz zahnlosen Tiger werden: Denn der Facebook-Mutterkonzern Meta - von dem mehr als 90 Prozent aller Hinweise stammen - fällt wohl künftig aus: "Die Verdachts-Anzeigen, die über Instagram oder Facebook erfolgen, die werden sowieso zum Jahresende entfallen, weil der Dienstanbieter angekündigt hat, sichere Ende-zu-Ende-Verschlüsselung einführen zu wollen."
Ein wirksamer und rechtskonformer Plan für mehr Kinderschutz im Netz ist dann aber weiter nicht auf der Zielgerade.