Die EU-Kapitalmarktunion Investitionen in Europa sollen attraktiver werden
Bei Autos oder Käse funktioniert der Binnenmarkt. Doch Europas Kapitalmarkt ist weiter zersplittert. Um Wachstum zu fördern und Europa wettbewerbsfähiger zu machen, wird auf dem EU-Gipfel heute die Kapitalmarktunion diskutiert.
Wo kommen die Millionen her? Hanno Renner nennt gleich ein konkretes Beispiel, in dem seine eigene Familie eine Rolle spielt. Der 34-Jährige ist CEO und Mitgründer von Personio.
Das Start-up bietet eine Personalmanagement-Software für kleine und mittelständische Unternehmen an. In die Firma hat unter anderem ein kanadischer Pensionsfonds investiert, der die Altersversorgung von Lehrerinnen und Lehrern verwaltet. Renners Eltern sind auch pensionierte Lehrer, erzählt er im Gespräch mit dem ARD Studio Brüssel: "Ich würde auch eine baden-württembergische Pensionskasse bei uns reinholen, aber die investiert eben nicht in Start-ups und Wachstumsunternehmen."
Kapitalgewinne fließen oft ins Ausland
Und so kommt gerade bei solchen Unternehmen das private Kapital häufig aus dem Ausland - Gewinne fließen dorthin wieder zurück. Besonders in den USA sind Bereitschaft und Expertise groß, wenn es darum geht, in Firmen mit Potenzial zu investieren.
Das bestätigt auch Jan Dzulko, dessen Unternehmen Everphone sich kürzlich eine Kapitalspritze von 270 Millionen Euro gesichert hat. Für etablierte und profitable Mittelständler seien die Probleme nicht so groß. "Aber wenn man noch kein Geld verdient, findet man in Europa einfach keine Investoren, die in der Größenordnung investieren."
Mehr Kapital für die Wirtschaft
"Unser Wettbewerbsnachteil ist der Kapitalmarkt, der nicht so leistungsfähig und nicht in der Lage ist, Zukunftsaufgaben zu finanzieren", sagte auch Bundesfinanzminister Christian Lindner vergangene Woche in Luxemburg.
Er erhofft sich vom heutigen Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs Impulse bei einem Projekt, das schon lange in der Planung aber nicht einmal in der Nähe der Zielgeraden ist: die Kapitalmarktunion.
Der Plan ist, deutlich mehr privates Kapital für die Wirtschaft in der EU zu mobilisieren. Lindners französischer Amtskollege Bruno Le Maire formulierte es in Berlin kürzlich so: "Ohne Kapitalmarktunion werden wir erleben, dass unsere Start-ups in Berlin geboren werden, in Paris entstehen und in Washington, New York oder San Francisco wachsen."
Auch Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire plädiert für die europäische Kapitalmarktsunion.
"Schlüssel zur Erschließung von privatem Kapital"
Die Kapitalmarktunion ist ein wichtiger Baustein, wenn die Staats- und Regierungschefs am Gipfeltisch nun darüber sprechen, wie die Europäische Union im Wettbewerb mit den USA oder China bestehen kann. Das betrifft weit mehr als nur Start-ups.
"Die Kapitalmarktunion zu vertiefen ist der Schlüssel zur Erschließung von privatem Kapital", heißt es in einem Entwurf des Gipfel-Abschlusstextes. Das helfe, die Herausforderungen anzugehen, "insbesondere den grünen und digitalen Wandel und die Bedürfnisse der europäischen Verteidigungsindustrie".
Bei Autos oder Käse funktioniert der Binnenmarkt in der EU. Beim Kapitalmarkt gibt es bisher nur gemeinsame Ziele. Bundeskanzler Olaf Scholz spricht von der "entscheidenden Ressource für künftiges Wachstum".
Italiens früherer Ministerpräsident Enrico Letta hat zum Gipfel einen langen Bericht zur Zukunft des Binnenmarktes vorgelegt.
Europäischer Kapitalmarkt ist zersplittert
Der frühere italienische Ministerpräsident Enrico Letta hat zum Gipfel einen langen Bericht zur Zukunft des Binnenmarktes vorgelegt. Dort heißt es, die EU sei die Heimat von 33 Billionen Euro allein an privaten Ersparnissen.
Doch dieses Geld muss auch bei Unternehmen landen, bei denen es gebraucht wird. Und in der Umsetzung einer Kapitalmarktunion müssen noch viele Hürden genommen werden. Der europäische Kapitalmarkt wird als zersplittert wahrgenommen. In jedem Land warten unterschiedliche Regularien.
Bundesbankpräsident Joachim Nagel sagte beispielsweise: "Es schreckt ausländische Investoren ab, wenn ein Wirtschaftsraum wie die EU 27 verschiedene Insolvenzregelungen hat." Damit ist das Problem beschrieben.
Doch wer ist bereit, seine nationalen Regelungen anzugleichen und Hoheiten einzuschränken oder abzugeben? So gibt es für eine mögliche Kapitalmarktunion unterschiedliche Vorstellungen, wie zentralisiert eine Aufsicht sein soll.
Bundesbankpräsident Joachim Nagel sagte, es schrecke ausländische Investoren ab, wenn ein Wirtschaftsraum wie die EU 27 verschiedene Insolvenzregelungen hat.
Wann kommt die Reform?
Es wäre ungewöhnlich, wenn die Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel in die technischen Tiefen der Kapitalmarktunion eintauchen würden. Diese Arbeit liegt bei Finanzministerinnen und -ministern.
Die Vorsitzende des Start-up-Verbandes, Verena Pausder, setzt jedoch darauf, dass das Vorhaben vorankommt: "Ohne stärkere Investitionen in Innovationen verliert Europa nicht nur technologisch den Anschluss an die USA und China, wir verbauen uns zudem unsere Wachstumsperspektiven."
Personio sieht sich als Unternehmen mit europäischen Wurzeln und "mit starker Verbundenheit zu Europa". CEO Renner sagt aber auch: "Um das bleiben zu können - auch wenn wir den Börsengang in den nächsten Jahren gehen - braucht es Reformen unseres Kapitalmarktes."
Dzulko vom Unternehmen Everphone weist darauf hin, dass Start-ups in erheblich kürzeren Zeiträumen denken würden als die Politik: "Ich beobachte das eher, als dass ich das in irgendeiner Form in meine Pläne einbauen würde."