EU-Beitrittsantrag der Ukraine Nach dem Besuch ist vor dem EU-Streit
Kanzler Scholz hatte in Kiew vor allem eine Botschaft: Die Ukraine soll EU-Beitrittskandidat werden. Präsident Selenskyj spricht von einem "historischen Tag". Heute soll die Empfehlung der EU-Kommission folgen - doch Streit ist bereits programmiert.
Einen Tag nach der Kiew-Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz und den Staats- und Regierungschefs aus Italien, Frankreich und Rumänien kann die Ukraine auf weitere Unterstützung für ihre Ambitionen auf einen EU-Beitritt hoffen. Die EU-Kommission in Brüssel will im Laufe des Tages ihre Empfehlung zum Umgang mit dem ukrainischen Antrag auf einen EU-Beitritt abgeben. Auch soll es Stellungnahmen und Analysen zu den Beitrittsanträgen der Moldau und Georgiens geben.
Nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa wird sich die Behörde unter der Leitung von Ursula von der Leyen voraussichtlich dafür aussprechen, der Ukraine und der Republik Moldau den Status als EU-Beitrittskandidaten zu geben. Zugleich dürfte nach Angaben aus EU-Kommissionskreisen klar gemacht werden, dass weitere Fortschritte im Beitrittsprozess an konkrete Bedingungen geknüpft werden sollten. Bei der Ukraine geht es demnach um Fortschritte bei Rechtsstaatlichkeit und im Kampf gegen Korruption.
Das ebenfalls einen EU-Beitritt anstrebende Georgien soll demnach hingegen erst nach der Erfüllung von Auflagen den Kandidaten-Status bekommen. Das Land würde demnach wie derzeit Bosnien und Herzegowina und das Kosovo vorerst nur ein potenzieller Beitrittskandidat sein. Die Einschätzungen der EU-Kommission sind dann allerdings nur Empfehlungen, entscheiden müssen auf deren Basis dann die EU-Staaten.
Kandidatenstatus umstritten
Und bei den Staats- und Regierungschefs gehen die Meinungen derzeit noch weit auseinander: Bundeskanzler Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatten sich bei ihrem gestrigen Besuch in Kiew klar für den Statuts als EU-Beitritskandidat für die Ukraine ausgesprochen. Deutschland und Frankreich argumentieren, dass der Kandidatenstatus die Aufnahmeentscheidung nicht vorwegnimmt und auch nicht mit einem Zeitrahmen verbunden ist. So ist die Türkei beispielsweise schon seit 1999 Beitrittskandidat.
Andere Länder wie Portugal und die Niederlande halten hingegen die Vergabe des Status an die drei Staaten im östlichen Europa nach Angaben von Diplomaten für verfrüht und rein symbolisch. Österreichs Kanzler Karl Nehammer erklärte, dass sein Land dem Kandidatenstatus für die Ukraine nur zustimmen wolle, wenn mit Bosnien und Herzegowina genauso verfahren werde. "Wir müssen sicherstellen, dass dieselben Maßstäbe angewandt werden wie auch bei anderen Beitrittsbewerbern aus dem Westbalkan", betonte Nehammer.
Eine Entscheidung der EU-Staats- und Regierungschefs zum Beitrittsantrag der Ukraine könnte bereits beim nächsten Gipfel fallen, der am Donnerstag kommender Woche in Brüssel beginnt.
Selenskyj sieht "historischen Tag" für Ukraine
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach nach dem gestrigen Besuch in seiner abendlichen Videoansprache von einem "historischen Tag" für sein Land. Noch nie seit ihrer Unabhängigkeit sei die Ukraine so dicht an die Europäische Union herangerückt.
Dank des Mutes ukrainischer Männer und Frauen könne Europa eine neue Geschichte der Freiheit schreiben "und endlich die Grauzone zwischen der EU und Russland in Osteuropa beseitigen", so Selenskyj.
Kuleba: "Worten müssen Taten folgen"
Auch der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba bewertete den Besuch von Scholz positiv. Für die Ukraine sei es wichtig gewesen, dass der Kanzler die durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine angerichtete Zerstörung in der Ukraine "mit eigenen Augen sieht", sagte Kuleba in den tagesthemen.
Zudem sprach er von einem wichtigen Schritt zur Wiederherstellung gegenseitigen Vertrauens. "Den Worten, die uns heute entgegenschlugen, müssen Taten folgen. Wir hoffen, dass das auch passiert", sagte Kuleba. Zum EU-Beitrittsgesuch der Ukraine sagte er, man wisse, dass die Ukraine nicht sofort Vollmitglied der Europäischen Union werden könne: "Aber es ist wichtig, dass alle sagen, die Ukraine gehört zu Europa."
Auch der Kiewer Oberbürgermeister Vitali Klitschko begrüßte die Unterstützung von Deutschland und Frankreich. Es sei ein Traum der Ukraine, ein Teil der europäischen Familie zu sein. Klitschko forderte aber auch weitere Waffenlieferungen. "Wir brauchen mehr. Jeder in Deutschland, jeder in Europa muss endlich mal begreifen: Wir brauchen Verteidigungswaffen."
Lob aus der Ampel, Kritik der Union
Lob für die Ukraine-Reise gab es auch aus den Reihen der Ampel-Koalition. "Das war ein historischer Besuch", sagte der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende, Alexander Graf Lambsdorff, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). "Es gibt jetzt keinerlei Zweifel mehr daran, auf wessen Seite Deutschland und Europa stehen", so Lambsdorff. Auch SPD-Chef Lars Klingbeil zeigte sich zufrieden mit der Reise des Kanzlers. In einer historischen Umbruchphase müsse alles dafür getan werden, Europa geopolitisch zu stärken, sagte Klingbeil dem RND.
Die Union zeigte sich hingegen enttäuscht: Der CDU-Außenpolitikers Roderich Kiesewetter kritisierte, dass Scholz beim Thema Waffenlieferungen unkonkret geblieben sei. Scholz habe nur das vertreten, was bisher bekannt und sowieso schon zugesagt gewesen sei. Unionsfraktionsvize Johann Wadephul betonte ebenfalls: "Bundeskanzler Scholz hat hohe Erwartungen an seinen Besuch geschürt und hat diese insgesamt enttäuscht."
Der CDU-Politiker sagte der "Welt": "Angesichts des täglichen Massensterbens im Donbass und des russischen Vormarsches wäre es bei diesem Besuch höchste Zeit gewesen, endlich eine klare Zusage für die unmittelbare Lieferung schwerer Waffen zu geben. Nur so kann sich die Ukraine endlich robust gegen die russische Aggression verteidigen."