Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg entscheidet über das EU-Recht.

Urteile des EuGH Behörden müssen sich beim Flüchtlingsschutz abstimmen

Stand: 18.06.2024 15:13 Uhr

Wenn ein Geflüchteter in einem EU-Staat Schutz bekommt, gilt das nicht automatisch für andere EU-Länder, urteilte der EuGH. Allerdings muss ein EU-Staat die Entscheidung des anderen inhaltlich berücksichtigen.

Von Michael-Matthias Nordhardt und Christoph Kehlbach, ARD-Rechtsredaktion

Im ersten Fall hatte Italien im Jahr 2010 einen aus der Türkei stammenden Mann als Flüchtling anerkannt. Als Unterstützer der kurdischen Arbeiterpartei PKK drohe ihm in seiner Heimat politische Verfolgung. Inzwischen lebt der Mann in Deutschland. Die Türkei fordert nun seine Auslieferung.

Der Grund: Er soll, bevor er die Türkei verlassen hat, seine Mutter getötet haben. Jetzt soll er deswegen in der Türkei wegen Totschlags angeklagt werden. Die Frage, ob er ausgeliefert werden darf, ging in Deutschland vor Gericht. Da es dabei auch um EU-Recht geht, kam der EuGH ins Spiel.

Auslieferung würde Flüchtlingsstatus beenden

Das oberste EU-Gericht in Luxemburg entschied dazu jetzt: Weil der Mann in Italien Flüchtlingsstatus habe, dürfe er nicht ausgeliefert werden. Denn sonst würde dadurch faktisch der Flüchtlingsstatus beendet, das gehe nicht. Ein EU-Staat - hier also Deutschland - dürfe nur dann ausliefern, wenn der andere Staat zuvor die Flüchtlingseigenschaft wieder aberkenne. Dazu müsse die zuständige deutsche Behörde mit der zuständigen italienischen Behörde Kontakt aufnehmen.

Aber selbst wenn die italienische Behörde den Flüchtlingsstatus aberkenne, sei die Auslieferung kein Automatismus. Auch die deutsche Behörde müsse die Sache prüfen und ebenfalls zu dem Ergebnis kommen, dass der Betroffene die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr besitzt. Darüber hinaus müsse sie sich noch vergewissern, dass ihm in der Türkei keine unmenschliche oder erniedrigende Strafe drohe. Denn das stünde einer Auslieferung entgegen.

Flüchtlingsstatus muss nicht in anderem EU-Staat anerkannt werden

Der EuGH entschied zudem einen weiteren Fall zum Thema Flüchtlingsschutz: Griechenland hatte eine Frau aus Syrien als Flüchtling anerkannt. Auch sie lebt inzwischen in Deutschland, hat hier aber nur sogenannten subsidiären Schutz. Die Frau möchte aber - gewissermaßen "vollwertig" - als Flüchtling anerkannt werden. Nach Griechenland könne sie wegen der dort teilweise menschenunwürdigen Verhältnisse für Flüchtlinge nicht zurück, hatte ein deutsches Gericht entschieden.

Der EuGH urteilte jetzt: In solchen Fällen müssen andere EU-Staaten - konkret also Deutschland - Menschen nicht automatisch auch als Flüchtling anerkennen. Das EU-Recht lasse das zwar zu, es verpflichte andere EU-Staaten aber nicht dazu. Für den Fall, dass diese die Anerkennung nicht übernehmen, seien sie aber verpflichtet, den Sachverhalt selbst nochmal zu prüfen. Dabei müssten sie vollständig und nochmal ganz neu die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft prüfen.

Im diesem Rahmen habe die Behörde allerdings die Entscheidung des anderen Mitgliedstaats in vollem Umfang zu berücksichtigen, so der EuGH. Komme dann auch sie zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen vorliegen, ist sie verpflichtet, den Status als Flüchtling zuzuerkennen. Es gibt dann also keinen Ermessensspielraum.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 18. Juni 2024 um 11:00 Uhr.