Frankreichs Premier gestürzt Wie geht es nach dem Misstrauensvotum weiter?
Es war ein Sturz mit Ansage: Frankreichs Parlament hat Premier Barnier das Vertrauen entzogen. Was geschieht nun? Wie wird ein neuer Premier gefunden - und warum kommt es nicht zu Neuwahlen?
Warum hat das Parlament die Regierung gestürzt?
Frankreichs Premier Michel Barnier hat am Montag den Sozialetat für das kommende Jahr ohne Zustimmung des Parlaments durchgesetzt. Er griff dazu auf einen umstrittenen Verfassungsartikel zurück, der es ihm ermöglicht, ein Gesetz auch ohne Abstimmung zu verabschieden. Der Artikel 49.3 wird in Frankreich in Anspielung auf ein gleichnamiges deutsches Geschütz aus dem Ersten Weltkrieg auch "Dicke Bertha" genannt, was ahnen lässt, wie umstritten er ist.
Der Artikel sieht aber auch vor, dass danach ein Misstrauensvotum gegen die Regierung gestellt werden kann. Barnier hatte mit seinem Vorgehen die Parteien auf der Rechten und der Linken des Parlaments gegen sich aufgebracht - und die haben seit der Parlamentswahl im Sommer zusammen die Mehrheit im Parlament. Nun muss Barnier den Präsidenten um die Entlassung seines Kabinetts bitten.
Wer benennt nun einen neuen Premierminister?
Das Recht, den Premierminister zu benennen, liegt in Frankreich beim Präsidenten. Das ist in Zeiten unproblematisch, in denen der Präsident über eine eigene Mehrheit im Parlament verfügt. Aber Macrons Gruppierung Ensemble und die Gruppierung um die konservativen Republikaner sind von der absoluten Mehrheit von 289 Abgeordneten weit entfernt.
Das Linksbündnis NFP (Neue Volksfront) und der rechtsnationale Rassemblement National (RN) kommen gemeinsam locker über die absolute Mehrheit, wenn sie sich - wie jetzt beim Misstrauensvotum - einig sind. Darauf muss Macron Rücksicht nehmen, wenn er eine handlungsfähige Regierung installieren will.
Nach der Parlamentswahl im Sommer ließ Macron sich damit viel Zeit, bis er mit Barnier einen Politiker von den Republikanern ernannte. Ein von der NFP umgehend gestelltes Misstrauensvotum überstand Barnier nur deshalb, weil der RN sich damals enthielt. Man wolle sehen, ob Barnier einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen könne, begründete Marine Le Pen ihr Vorgehen, Barnier sei ein Mann, der mit allen politischen Lagern reden könne. Das zeigt: Macron muss nun einen Politiker oder eine Politikerin finden, die der einen oder anderen Gruppierung vermittelbar ist.
Zwar schreibt die Verfassung keine Frist für die Benennung eines Premierministers vor. Und doch drängt für Macron nun die Zeit. Denn eigentlich wollte die Regierung bis Jahresende weitere Haushaltsgesetze durch das Parlament bringen. Das erscheint nun kaum noch zu schaffen, es sei denn, Macron findet einen Premier, der entweder von der NFP oder vom RN gebilligt wird. Bis dahin bleibt das derzeitige Kabinett geschäftsführend im Amt.
Alternativ könnte Macron eine Expertenregierung einsetzen, die ohne politisches Programm ins Amt käme.
Warum ist die Haushaltsfrage so entscheidend?
Frankreich weist ein gigantisches Haushaltsdefizit auf und muss dieses nach EU-Vorgaben dringend reduzieren. Brüssel hat bereits ein Defizitverfahren gegen Frankreich eingeleitet, denn das Minus beträgt in diesem Jahr sechs Prozent der Wirtschaftsleistung. Das ist doppelt so viel, wie die EU-Stabilitätsregeln erlauben. Barnier nannte im Oktober im Parlament die gigantische Summe von 3.228 Milliarden Euro Schulden.
Die Regierung muss also tiefe Einschnitte vornehmen, und die sind zwischen den Parteien höchst umstritten. Sollte das Parlament bis zum 20. Dezember keinen Etat verabschiedet haben, kann die Regierung diesen zwar per Anordnung durchbringen. Ob eine Übergangsregierung diese in der Verfassung festgelegten Rechte aber auch nutzen darf, ist umstritten.
Deswegen könnte eine Alternative sein, nur einen Haushalt für den Beginn des Jahres per Notfallgesetzgebung vorzuschlagen. Dieser müsste sich aber an den Ausgaben von 2024 orientieren - und würde dann keine Einsparungen mit sich bringen. Für die bisherige Regierung kam das bisher schon einer sprichwörtlichen Quadratur des Kreises gleich - und das dürfte auch für die nächste so sein.
Könnte es auch zu Neuwahlen kommen?
Diese Möglichkeit ist ausgeschlossen. Die Verfassung sieht zwischen zwei Parlamentswahlen einen zeitlichen Abstand von mindestens einem Jahr vor. Da Macron - zur Überraschung aller - erst kurz nach der Europawahl Anfang Juli ein neues Parlament hatte wählen lassen, kann er frühestens im kommenden Sommer ein neues Parlament wählen lassen.
Bis dahin muss er sich mit der Linken und der Rechten im Parlament arrangieren. Allerdings gibt ihm die Verfassung auch weitreichende Möglichkeiten, Notfallmaßnahmen zu verordnen oder Referenden abzuhalten.
Könnte Macron auch zurücktreten?
Das wünscht sich die Opposition - es ist aber kaum wahrscheinlich. Macron ist bis 2027 gewählt und hat den Gedanken an einen vorzeitigen Rückzug noch am Dienstag entschieden zurückgewiesen. Und anders als ein Premierminister kann er nicht vom Parlament abgewählt werden. 2027 ist dann aber nach zwei Amtsperioden für ihn Schluss - so sieht es die Verfassung vor.