Michel Barnier spricht im französischen Parlament

Regierungserklärung des Premier Barnier und die Quadratur des Kreises

Stand: 02.10.2024 00:19 Uhr

Das neue Regierungsbündnis in Frankreich ist fragil und muss eine schwere Schuldenkrise meistern. Keine leichte Ausgangslage für Premier Barnier bei seiner ersten Regierungserklärung. 

Mit Blick fürs Wesentliche und eher leisen Tönen will Michel Barnier Frankreich durch die Schuldenkrise und in eine neue politische Ära führen. Dazu brauche es eine neue Methode, erklärte der 73-Jährige und machte gleich deutlich, was seine Herangehensweise ausmacht: nicht aus der Ruhe bringen lassen.

So redete er fast anderthalb Stunden lang geradezu stoisch gegen die permanenten Zwischenrufe der Parlamentarier aus dem linken Lager an, ohne einmal die Stimme zu erheben: "Meine Regierung kann keine Wunder vollbringen, so steil ist der Weg. Aber meine Regierung ist bereit, jede Hürde einzeln zu nehmen und so zu versuchen, auf die Erwartungen der Franzosen Antworten zu geben."  

Schulden als "Damoklesschwert"

Doch Barniers Handlungsspielraum ist begrenzt. "Das Damoklesschwert, das über uns schwebt, ist die kolossale Schuldenlast. Sie beträgt 3.228 Milliarden Euro", sagte er. "Wenn wir nicht aufpassen, kann uns das in den Abgrund stürzen. Unser Haushaltsdefizit wird dieses Jahr wohl 6 Prozent übersteigen. Wenn wir nicht handeln, wird es 2025 noch schlimmer."  

Barnier will Steuern erhöhen

Deshalb muss Barnier sparen und er wird Steuern erhöhen für sehr vermögende Franzosen und große Unternehmen. Ein Bruch mit der von den Macronisten geführten Vorgängerregierung, wie Gabriel Attal, der frühere Premier, im Anschluss deutlich machte: "Beim Abbau des Defizits sollten wir auf keinen Fall unser Wachstum, unserer Arbeitsplätze und unseren Wohlstand aufs Spiel setzen. Unser Rezept wäre deshalb, die Ausgaben zu senken und sicher nicht, die Steuern zu erhöhen."  

Die Steuerpolitik ist nicht das einzige Thema, bei dem Barnier fürchten muss, dass ihm seine Koalitionspartner aus dem Macron-Lager die Gefolgschaft verweigern. Auch beim Thema Immigration und Sicherheit liegen die Vorstellungen zum Teil weit auseinander. Barniers Innenminister Bruno Retailleau etwa träumt von einer Volksabstimmung über die Einwanderung. Ein No-Go für die Macronisten.

Der neue Premier plädierte unter anderem dafür, die Fristen für die Abschiebehaft zu verlängern und kurze abschreckende Gefängnisstrafen für jugendliche Kriminelle einzuführen. Diese Maßnahmen stoßen nicht nur bei Barniers konservativen Republikanern auf Wohlwollen, sondern sind auch geeignet, die Rechtsnationalen milde zu stimmen.

Le Pen macht Druck

Der Rassemblement National ist die größte Einzelfraktion in der Assemblée und hätte die Macht, mit einem Misstrauensvotum, an dem sich auch Teile anderer Fraktionen beteiligen, die Regierung zu stürzen. Doch Marine Le Pen beschränkte sich zunächst darauf, ihre Drohkulisse aufrechtzuerhalten. "Eine unserer drei roten Linien wäre, dass der nötige Ruck in Sachen Einwanderung, Sicherheit und Justiz ausbleibt. Wir verlangen, dass Sie im Jahr 2025 ein neues restriktives Immigrationsgesetz auflegen", sagte sie.  

Der RN toleriert also die Regierung Barniers, solange diese die roten Linien des Rassemblement National nicht überschreitet. Eine Machtdemonstration und auch eine gezielte Abgrenzung vom Linksbündnis NFP. Marine Le Pen stellt dieses Linksbündnis gerne als "Chaoshaufen" dar, das nicht konstruktiv sei und nur Frontalopposition mache.

Linksbündnis NFP bezeichnet Mitte-Parteien als "Verräter"

Und in der Tat hatte der NFP bereits vor Barniers Regierungserklärung ein Misstrauensvotum angekündigt. Die linke Wortführerin Mathilde Panot erinnerte heute daran, dass der NFP als stärkste Kraft aus der Wahl hervorgegangen war und dann um den Sieg betrogen worden sei. Die Vertreter der Mitte-Parteien, die nun mit in der konservativen Regierung sitzen, aber im zweiten Wahlgang gemeinsam mit dem Linksbündnis Front gegen den Rassemblement National gemacht hatten, sieht Panot als Verräter. Ihnen schleuderte sie im Parlament entgegen: "Wenn ihr diese Regierung nicht gemeinsam mit uns zu Fall bringt, kommt Schande und Schmach über euch."

Als diese Worte fielen, waren die leisen Töne von Michel Barnier längst verklungen.