Michel Barnier

Frankreichs neuer Premier Barnier "Es gibt keine roten Linien"

Stand: 07.09.2024 04:22 Uhr

Frankreichs frischgebackener Premierminister Barnier hat sein erstes Fernsehinterview im neuen Amt gegeben. Wie stellt er sich seine Regierung vor? Und wer ist Barnier eigentlich?

Karriere wolle er nicht mehr machen in seinem Alter - so startet der 73-jährige Michel Barnier in sein erstes TV-Interview als Premier. Warum er ernannt worden sei, ob es die Erfahrung sei, fragt die Moderatorin des Kanals TF1 nach. Eine Steilvorlage für Barnier: "Ich habe eine lange Laufbahn hinter mir. Immer gestützt auf das Votum der Bürger", sagt er. "Eine Zeit lang war ich jüngster Abgeordneter Frankreichs - ein Titel, den man recht schnell wieder verliert."

17 Jahre lang habe er die Ehre gehabt, sein Département Savoyen zu regieren. "Dabei habe ich unter anderem mit Jean-Claude Killy Olympische Winterspiele organisiert. Ich war in verschiedenen Ministerien, für Umwelt, Landwirtschaft, Fischfang, die Fischer vergesse ich nicht." Da hat er aber glatt das Außenministerium vergessen, dem er vorstand.

Spitzenpolitiker aus den Alpen

Nach ihm heißt ein Umweltgesetz "Loi Barnier" und die "Taxe Barnier" ist eine maritime Steuer für Touristen, die in Naturschutzgebiete fahren. Geboren bei Grenoble, zur Schule gegangen in Albertville ist er einer der wenigen Spitzenpolitiker Frankreichs, die nicht die Kaderschiede ENA, sondern die Pariser Handelshochschule absolviert haben.

Er entstammt der Familie eines Kleinunternehmers, ist dort der jüngste von drei Brüdern. Barniers Frau Isabelle ist Anwältin, sie haben drei Kinder. Er bezeichnet sich als "montagnard", ein Bergbewohner - die französischen Alpen sind seine Heimat.

Mister Brexit

Berg- und Talfahrten gab es für ihn auch im politischen Leben: Er scheiterte in seiner eigenen Partei - bei den konservativen Républicains - bei Vorwahlen für eine Präsidentschaftskandidatur und wurde auch nicht EU-Kommissionspräsident - dafür Mister Brexit. Sein europäisches Engagement begann jedoch früher.  

"Ich erinnere mich, dass ich fünf Jahre lang mitten in der Finanzkrise Kommissar für Finanzregulierung war und für Ordnung, Moral, Transparenz und Verantwortungsbewusstsein sorgen musste gegenüber Bankern, die dachten, sich alles erlauben zu können", erzählt er. "Ein Ultraliberalismus, der Millionen Arbeitsplätze zerstört hat. Und dann diese komplexe Brexit-Verhandlung, mit der Unterstützung unseres Präsidenten, der deutschen Bundeskanzlerin und anderer habe ich die Interessen Europas verteidigt."

Linke plant Misstrauensvotum gegen ihn

Verhandeln, Menschen zusammenbringen, sie respektieren und zuhören - deshalb sei er wohl ernannt worden. Nun wolle er sich die Ärmel hochkrempeln. Respekt für das Parlament, in dem er keine Mehrheit hat, für die Sozialpartner, aber auch für die Bürger, kündigt Barnier an. Jeder Einzelne sei wichtig.  

Ideen kämen von unten und aus Frankreichs Regionen. Selbst die Linke, also den eigentlichen Sieger der Parlamentswahl, könne er sich in seiner Regierung vorstellen. Nur plant die eher ein Misstrauensvotum, um ihn zu kippen.

Gabriel Attal (links) und Michel Barnier

Der scheidende französische Premierminister Gabriel Attal und der neu ernannte Premierminister Michel Barnier bei der Übergabezeremonie im Hotel Matignon in Paris.

Barnier und der RN

Barnier erklärte im TV-Interview, er wolle auch Minister aus dem Macron-Lager, vielleicht blieben einige gleich im Amt. Nur will sein Amtsvorgänger Gabriel Attal, nun Fraktionschef der Macron-Partei, ihm nicht bedingungslos folgen. 

Es gebe keine rote Linie "Wir müssen die Tür öffnen, für alle, die es wollen," so Barnier, der ausgerechnet vom rechtsnationalen Rassemblement National, gegen den alle Kräfte Front gemacht hatten, toleriert werden könnte. Nur um welchen Preis? Barnier hatte 2021 noch ein mehrjähriges Einwanderungsmoratorium gefordert. Er habe nichts oder sehr wenig mit dem RN gemein, respektiere aber dessen elf Millionen Wähler.   

"Der Präsident lenkt, der Premier regiert"

Es gebe keine rote Linie, etwa um das Wahlsystem zu ändern oder die unbeliebte Rentenreform im Rahmen des Budgets zu verbessern. Barniers drei Prioritäten: Schulden nicht wachsen lassen,  Einwanderungsströme beherrschen und Arbeit aufwerten. Dazu Wachstum fördern, den öffentlichen Dienst stärken und Gerechtigkeit vor dem Fiskus.

Macron hat er früher deutlich kritisiert, nun will der Präsident einerseits eine "anspruchsvolle Koexistenz" mit Barnier und lässt ihm Freiraum. Der Elysée werde nicht mehr die Büroleiter der Minister ernennen und der Präsidentenberater werde nicht mehr zur Wochensitzung in Barniers Amtssitz kommen.

Was Barnier selbst dazu sagt? Der Präsident lenke, der Premier regiere. Pragmatisch, integer, ein Mann des Kompromisses mit soliden Überzeugungen. Old school, er halte einem die Tür auf, sagen die Einen. Andere halten ihn für abgehoben, für ein politisches Fossil. Michel Barniers eigenes Fazit: Die Lage sei gravierend, aber es gebe Grund zur Hoffnung.