Unruhen in Frankreich Offenbar ruhiger als in den vorigen Nächten
Erneut hat sich in Frankreich die Wut über den Tod eines 17-Jährigen durch Polizeigewalt entladen. Auch das Haus eines Bürgermeisters wurde angegriffen. Laut Innenministerium blieb es ruhiger als in den Nächten zuvor.
Erneut hat es in der vergangenen Nacht in Frankreich Ausschreitungen gegeben - insgesamt nahm die Gewalt dabei aber offenbar ab. Laut vorläufiger Bilanz wurden 719 Menschen festgenommen, teilte das Innenministerium mit. 45 Polizisten und Gendarme seien verletzt worden, 577 Fahrzeuge und 74 Gebäude seien in Brand gesetzt worden. 871 Feuer auf Straßen wurden den Angaben zufolge gezählt. Trotz alledem sei die Nacht "dank des entschlossenen Vorgehens der Ordnungskräfte" eine ruhigere gewesen, twitterte Innenminister Gérald Darmanin.
Premierministerin Élisabeth Borne lobte die Einsatzkräfte: Angesichts der Gewalttätigkeiten zeigten sie beispielhaften Mut, schrieb sie auf Twitter. 45.000 Polizisten und Tausende Feuerwehrleute seien im Einsatz gewesen, um die Ordnung zu schützen.
Plünderungen und Sachbeschädigungen
Allerdings kam es vor allem in Paris, Marseille und Lyon erneut zu Krawallen, Plünderungen und Sachbeschädigungen. In einem Vorort von Paris haben Demonstranten das Haus eines Bürgermeister mit dem Auto gerammt. Anschließend hätten die Randalierer ein Feuer gelegt, erklärte Vincent Jeanbrun, Bürgermeister von L'Haÿ-les-Roses bei Paris, auf Twitter. Seine Frau und eines seiner beiden Kinder seien "verletzt worden". Er sei während des Vorfalls im Rathaus der Stadt gewesen, die südlich von Paris liegt.
Jeanbrun forderte die Regierung auf, den Ausnahmezustand zu verhängen. Ein solch persönlicher Angriff ist ungewöhnlich, wenngleich bei den Krawallen der vergangenen Tage mehrere Schulen, Polizeistationen Rathäuser und Geschäfte Ziel von Vandalismus und Brandstiftungen wurden.
Auf dem Prachtboulevard Champs-Elysées in Paris war die Präsenz der Sicherheitskräfte in der Nacht zum Sonntag massiv. Kleine Gruppen von in Schwarz gekleideten jungen Männern liefen unter den Augen der Polizisten an den Geschäften entlang, die durch Gitter und Holzplanken vor Plünderungen geschützt waren. Gegen 01.30 Uhr begannen die Sicherheitskräfte damit, die letzten verbliebenen Gruppen von Protestierenden aufzulösen, wie die Nachrichtenagentur AFP meldet. "Le Figaro" berichtet, die Champs-Elysées sei von einem großen Polizeiaufgebot unter Einsatz von Tränengas geräumt worden.
In Marseille feuerte die Polizei Tränengas und lieferte sich bis spät in die Nacht Straßenkämpfe mit Jugendlichen im Zentrum der Stadt. Dort war die Polizeipräsenz massiv verstärkt worden, ebenso in Lyon und Grenoble.
Tod eines 17-Jährigen Auslöser der Proteste
In der Nacht zum Samstag hatte es landesweit mehr als 1300 Festnahmen gegeben. Auslöser der Unruhen war der Tod des 17-Jährigen Nahel M., der am Dienstag von einem Polizisten bei einer Verkehrskontrolle in der Pariser Vorstadt Nanterre erschossen worden war.
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft war der Jugendliche mit einem Mercedes mit polnischen Kennzeichen auf einer Busspur unterwegs und überfuhr eine rote Ampel, als der Beamte und ein Kollege ihn aufhalten wollten. Der Polizist rechtfertigte den Schuss damit, er habe befürchtet, dass er und sein Kollege oder jemand anderes von dem Auto hätte überfahren werden können.
Nahel wurde am Samstag beigesetzt. Hunderte Menschen standen am Eingang des Friedhofs in Nanterre, um Abschied zu nehmen, als der Sarg hineingetragen wurde. Die Mutter des Jungen wurde von der Trauergemeinde mit Applaus begrüßt. Sie hatte in einem Fernsehinterview eine harte Strafe für den Polizisten gefordert, der ihren Sohn erschossen hatte. Gegen den Beamten wird wegen Totschlags ermittelt.
Präsident Emmanuel Macron sagte wegen der Ausschreitungen einen ab Sonntag geplanten Staatsbesuch in Deutschland ab. Die von Sonntag bis Dienstag geplante Reise solle baldmöglichst nachgeholt werden, teilte das Bundespräsidialamt mit.