Shannon Seban macht im Pariser Vorort Ivry-sur-Seine (Frankreich) Wahlkampf für das Parteienbündnis von Präsident Macron.
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Wahlkampf in Frankreich "Wir dürfen nicht aufgeben"

Stand: 29.06.2024 11:46 Uhr

Den Kandidaten des Parteienbündnisses von Präsident Macron schlägt im Wahlkampf viel Ablehnung entgegen. Überall im Land spürt man eine diffuse Wut. Verantwortlich gemacht wird der Präsident.

Es ist eine schwierige Mission. Émilie Chandler ist auf Wahlkampftour im Ort Marines, eine Stunde nordwestlich von Paris. Bis Emmanuel Macron die französische Nationalversammlung aufgelöst hatte, saß sie für das Parteienbündnis des Präsidenten als Abgeordnete im Parlament, jetzt möchte sie wiedergewählt werden.

Mit einem Packen Flyer in der Hand und der Bildungsministerin als Verstärkung versucht sie, Menschen im pittoresken Innenstädtchen von Marines davon zu überzeugen, bei den Parlamentswahlen für sie zu stimmen."Es ist echt hart, aber wir dürfen nicht aufgeben. Wir haben noch so viel zu tun, so viele Baustellen. Wenn damit Schluss wäre, wäre das eine Katastrophe für Frankreich", sagt die 41-Jährige.

Die Chancen stehen nicht ganz so gut. Bei der Europawahl hat das Parteienbündnis von Macron desaströs abgeschnitten. Auch im 3.500-Einwohner-Ort Marines lag die Rechtsaußen-Partei Rassemblement National mit großem Abstand vorne.

Eine Abstimmung über den Präsidenten

Die beiden Wahlkämpferinnen ziehen von Geschäft zu Geschäft, wollen mit den Menschen ins Gespräch kommen. Doch das ist nicht immer einfach. "Hier wählt man Rassemblement National", raunt ihnen ein Mann vor einem Lotto-Laden entgegen. Sobald Rentner Alain Grimaud den Namen Macron hört, sieht er rot. "Hören Sie sich Ihren Präsidenten doch mal an. Was hat er denn gemacht? Milliarden Schulden. Und das ist alles. Und für Sie scheint alles gut?", schreit er den Wahlkämpferinnen entgegen.

So wie Rentner Grimeaud sind in Frankreich Umfragen zufolge fast 70 Prozent der Menschen unzufrieden mit der Politik des Präsidenten. Grimeaud regt auf, dass Macron Entscheidungen am Parlament vorbei durchgedrückt hat, dass die Gesundheitsversorgung schlechter ist als früher.

Und obwohl das Amt des Präsidenten gar nicht zu Wahl steht, ist die Parlamentswahl in Frankreich eine Abstimmung über Macrons Politik.

Wahlkämpferin Émilie Chandler hat den Präsidenten nicht auf ihre Flyer gedruckt. "Ich wollte zeigen, dass ich vor Ort da bin und was ich in den letzten zwei Jahren im Parlament für meinen Wahlkreis getan habe", erklärt sie.

In anderen Wahlkreisen haben sich Kandidaten auch sehr bewusst dafür entschieden, den Präsidenten aus dem Wahlkampf herauszuhalten. War er früher ein Pfund, wird er für das Parteienbündnis zunehmend zum Problem. 

Die Wut ist diffus

Denn nicht nur im Örtchen Marines, sondern überall im Land spürt man eine diffuse Wut. Dabei steht Frankreich wirtschaftlich eigentlich ganz gut da. Im ganzen Land ist die Arbeitslosigkeit auf einem Tiefpunkt, ein Effekt von Macrons Wirtschaftspolitik.

Das ändert nichts an der Entscheidung von Marcel Mallard. Bis vor kurzem hat er für eine Supermarktkette gearbeitet. Und bisher auch für Macron gestimmt.

Damit sei jetzt Schluss, erzählt er bei einem Kaffee in einer kleinen Bar in Marines. Er will zum ersten Mal den Rassemblement National wählen.

Entscheidung abseits der Metropolen

Bei den Europawahlen hat der Rassemblement National in allen Altersgruppen deutlich zugelegt. Besonders abseits der Metropolen schnitt die Rechtsaußen-Partei gut ab.

Und der Anteil der französischen Bevölkerung in ländlichen Regionen wie Marines ist groß: Mehr als zwei Drittel der Französinnen und Franzosen wohnen abseits der Metropolen.

Marcel Mallard will Rassemblement National wählen, um ein Zeichen zu setzen. Wie für die meisten Franzosen ist Kaufkraft für ihn das wichtigste Thema bei dieser Wahl. "Wir arbeiten - und zahlen, zahlen, zahlen. Das macht viele wütend", sagt er.

Den Eindruck haben viele in Frankreich, obwohl die Inflationsrate eigentlich sinkt und die Kaufkraft sich laut Wirtschaftswissenschaftlern eigentlich verbessert hat.

Mallard besorgt auch die Sicherheit in Frankreich. Laut Umfragen ist das das zweitwichtigste Thema bei dieser Wahl. "Es ist anders als das Frankreich, was ich noch kenne, wo man ohne Angst auf der Straße laufen konnte. Wenn man jetzt zum Beispiel durch Paris geht, fühlt man sich einfach nicht mehr sicher."

Linksbündnis mit ungeklärten Personalfragen

Ein paar Meter weiter befindet sich das Fenstergeschäft "À vos Fenêtres". Inhaberin Christèle Charbonnier-Louis will auf jeden Fall wählen. Aber wen, das findet sie dieses Mal besonders schwer.

Eigentlich interessieren sie die Parteien der gemäßigten Linken, die Sozialisten zum Beispiel. Diese haben sich aber zu einem Wahlbündnis Nouveau Front Populaire - "Neue Volksfront" - mit anderen linken Parteien zusammengeschlossen.

Mit dabei ist auch die extreme linke Partei La France Insoumise. Das stört sie: "Das sind so unterschiedliche Menschen und Positionen, dass man überhaupt gar nicht weiß, was für eine Politik herauskommen kann, wenn sie gewinnen sollten."

Anders als bei den anderen beiden Wahlbündnissen hat sich die Linke nicht auf einen möglichen Premierminister festgelegt, wenn sie eine Mehrheit bekommen sollten. Und viele haben Sorge, dass das dann der Linkspopulist und Provokateur Jean-Luc Mélenchon werden könnte.

Viel erreicht - schlecht verkauft?

Wahlkämpferin Émilie Chandler lässt sich den Mut von Umfrageergebnissen nicht nehmen, ist momentan ständig unterwegs, versucht so viele Menschen wie möglich persönlich zu treffen.

Ihre Hoffnung ist, dass sie durch ihre Verankerung in der Region punkten kann. Schließlich wird in 577 Wahlkreisen in Frankreich gewählt, wo jeweils unterschiedliche Kandidaten in unterschiedlichen Konstellationen gegeneinander antreten. "Wir haben Politik vielleicht schlecht erklärt, aber wir haben viel erreicht, trotz Krisen und dem Krieg in der Ukraine. Die Projekte müssen weitergehen", sagt sie.

Sie will nicht aufgeben. Aber wie viele in Frankreich hat auch sie Sorge, wie die Wahl letztendlich ausgehen wird.

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Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das Erste im Europamagazin am 30. Juni 2024 um 12:45 Uhr.