Georgien Ein Gesetz gegen das Volk
Trotz massiver Proteste hat das Parlament in Georgien das Gesetz zu "ausländischer Einflussnahme" beschlossen. Was dem Land nun bevorsteht.
Auch nach vier Wochen Protest zeigen die Demonstranten in Georgien keine Müdigkeit. Die dritte und letzte Lesung des Gesetzentwurfs gegen "ausländische Einflussnahme", die am Mittag begonnen hatte, begleiteten erneut Hunderte Menschen mit Pfiffen und "Sakartvelo"-Rufen, der muttersprachlichen Bezeichnung für Georgien. Die Abgeordneten billigten das Vorhaben mit 84 Ja-Stimmen bei 30 Gegenstimmen - die Menschen auf den Straßen von Tiflis werden auch die nächsten Schritte bis zur Inkraftsetzung mit Protest begleiten.
Nun hat Präsidentin Salome Surabischwili das Wort. Sie kann Änderungen am Gesetz fordern oder es ganz zurückweisen. Für ihr Veto hat sie zehn Tage Zeit, doch hat sie bereits deutlich gemacht, dass sie zügig entscheiden wird - und zwar mit einer kompletten Ablehnung. Surabischwili steht aufseiten der Demonstranten, auch wenn es die Regierungspartei Georgischer Traum (GT) war, die sie vor sechs Jahren als Präsidentschaftskandidatin aufgestellt hat.
Allerdings verfügt das Staatsoberhaupt seit einer 2013 in Kraft getretenen Reform nur noch über wenig Macht. Die Regierungspartei kann Surabischwilis Veto mit ihrer Mehrheit überstimmen, wie es in dieser Legislaturperiode mehrfach geschah.
Fokus auf Wahlbeobachter
Tritt das Gesetz dann in den kommenden Wochen in Kraft, wird sich schnell zeigen, ob es der Regierungspartei tatsächlich um Transparenz geht oder, wie befürchtet, um die Einschränkung der Zivilgesellschaft und den Machterhalt bei der Parlamentswahl im Oktober. Im Fokus der Regierungspartei stehen insbesondere die lokalen Wahlbeobachterorganisationen, die von internationalen Geldgebern unterstützt werden und schon bei den Wahlen 2020 zahlreiche Unregelmäßigkeiten kritisiert hatten.
Dazu zählt die Internationale Gesellschaft für faire Wahlen und Demokratie (ISFED). Sie wurde 1995 gegründet, spielte bei den Machtwechseln 2003 und 2012 eine wichtige Rolle und erhält derzeit Gelder unter anderem von der Europäischen Union und der US-Organisation USAID.
Direktorin Nino Dolidze will ISFED nicht als unter "ausländischer Einflussnahme" stehende Organisation registrieren und weiß dabei den Vorstand hinter sich, wie sie im tagesschau.de-Interview sagte. Möglich wäre, dass ISFED und andere Organisationen, die dies verweigern, nicht als Beobachter bei der Wählerregistrierung bis hin zur Anwesenheit in den Wahllokalen zugelassen werden. Außerdem könnten die Behörden mit Durchsuchungen und Strafgeldern Druck ausüben.
Unsicherheit über Machterhalt
Dabei bräuchte sich die Regierungspartei keine großen Sorgen um den Machterhalt machen: Die Umfragen der vergangenen Monate zeigten einen komfortablen Vorsprung vor den Oppositionspartein, die meisten würden angesichts einer Fünf-Prozent-Hürde den Einzug ins Parlament verpassen.
Doch eine Änderung im Wahlsystem mache den Ausgang unsicherer als zuvor, erklärt Dolidze. Bisher wurden Parlamentssitze nach Mehrheits- und Verhältniswahlrecht verteilt. Das Mehrheitswahlrecht, das bislang immer die amtierende Partei bevorteilt habe, wurde abgeschafft. Mit dem Verhältniswahlrecht fühle sich die Regierungspartei unsicherer über den Wahlausgang. Diese Reform war als Kompromiss mit der Opposition ausgehandelt worden, dies unter Vermittlung von EU-Ratspräsident Charles Michel.
Ein faires Wahlsystem ist eine der Bedingungen der EU für den nächsten Schritt zum Beitritt, für den sich die Regierungspartei bislang ausgesprochen hatte, um sich nicht gegen die Mehrheit der Bevölkerung zu stellen, welche sich eine EU-Mitgliedschaft wünscht.
Stoppschild für die Regierung
Doch mit Verabschiedung des Gesetzes über "ausländischen Einfluss" wird Schluss sein mit dem Lavieren, das machen Politiker aus der EU deutlich.
"Man will nur noch durchregieren und - das muss man den Verantwortlichen jetzt klar machen - das hat Konsequenzen", sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Roth, als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses gerade zu Besuch in Tiflis. Der EU-Kandidatenstatus sei ja kein generöses Geschenk an die Regierung gewesen, sondern eine Ermutigung an die Zivilgesellschaft. "Der Vertrauensvorschuss ist ab dem heutigen Tag nichts mehr wert", so Roth im tagesschau.de-Interview.
Roth will, dass die EU ein Stoppschild setzt mit Taten, die für die Verantwortlichen schmerzhaft seien. "Sie wissen, Sanktionen müssen einstimmig beschlossen werden. Mit Ungarn, mit Herrn Orban hat der Georgische Albtraum (kommentierende Anspielung auf "Georgischer Traum", den Namen der Regierungspartei, Anmerkung der Redaktion) ja einen Verbündeten in der EU und im Rat sitzen. Die Kommission sollte aber prüfen, was in ihren Möglichkeiten steht." Von einer Aussetzung der Visaliberalisierung möchte Roth hingegen absehen, weil sie die Menschen in Georgien bestrafe.
Denkbar wäre auch, dass Georgien der Status als sicherer Herkunftsstaat entzogen wird. "Wenn sich Oppositionelle hier nicht mehr frei bewegen können und wenn das konsequent und brutal fortgesetzt wird, nämlich Druck auch auf Familienangehörige auszuüben. Wenn jetzt auch aus den abstrakten Drohungen gegenüber LGBTQI konkrete Diskriminierungen werden, auch durch Gesetze, dann muss man das sicherlich noch mal überprüfen", fordert Roth.
Angriffe auf Oppositionelle
Viele Oppositionspolitikerinnen tragen Pfefferspray bei sich, um sich vor Angriffen schützen zu können, wie sie in den vergangenen Tagen mehrfach geschehen sind. ISFED-Direktorin Dolidze zeigt Fotos von ihrer Wohnungstür. Dort fand sie am Morgen Plakate mit ihrem Konterfei sowie die Sprüche "Verräter" und "ausländischer Agent". Videoaufzeichnungen hätten gezeigt, dass in der Nacht drei Männer die Schmierereien angebracht hätten. Die Polizei sei trotz mehrmaliger Anrufe nicht gekommen. Ebenso erging es anderen prominenten Regierungskritikern in den vergangenen Tagen. Mehrere wurden auch verletzt.
Dolidze, Mutter von zwei minderjährigen Kindern, lässt sich nicht einschüchtern. Sie erzählt von ihren Nachbarn, die aus Wut über Plakat-Aktion zu den Demonstrationen gegangen seien. Eine solche Stimmung macht sie in der gesamten Bevölkerung aus. So viele Menschen, wie am Wochenende zum Europatag auf die Straßen gegangen seien, habe sie noch nie bei einer Demonstration in Georgien gesehen.
Viele befürchten allerdings ein Szenario wie in Belarus, wo Diktator Alexander Lukaschenko den Widerstand gegen die gefälschte Präsidentschaftswahl von 2020 brutal zusammenschlagen ließ. Denkbar wäre aber auch ein anderer Ausgang: Dass die Regierungspartei mit ihrer Politik so viel Widerstand erzeugt, dass die Anzahl und die Ausdauer der Protestierenden die Polizei schließlich erschöpft - so wie 2018 im benachbarten Armenien, wo ein friedlicher Machtwechsel gelang.