Georgien tief gespalten Konflikt um EU-Beitritt eskaliert weiter
Der Konflikt um einen EU-Beitritt Georgiens spitzt sich weiter zu. Die EU-freundliche Präsidentin will sich Forderungen nach ihrem Rücktritt nicht beugen. Am Abend demonstrierten wieder Tausende in Tiflis für einen proeuropäischen Kurs.
In Georgien halten die Massenproteste gegen den Aufschub der EU-Beitrittsbemühungen durch die russlandfreundliche Regierung an. Erneut gingen an mehren Orten Menschen auf die Straße, um gegen die Regierungsbeschlüsse zu demonstrieren. Allein in der Hauptstadt Tiflis versammelten sich Tausende Menschen.
Präsidentin lehnt Rücktritt ab
Die amtierende Präsidentin Salome Surabischwili erklärte in einer Fernsehansprache ihre "Solidarität" mit der "Widerstandsbewegung". "Wir werden zusammenhalten, bis Georgien seine Ziele erreicht hat: Rückkehr auf den europäischen Weg und Neuwahlen", sagte Surabischwili. Sie werde trotz ihrer im Dezember endenden Amtszeit auf ihrem Posten bleiben, so die Präsidentin weiter. Hierfür werde sie mit anderen politische Führern und Mitglieder der Zivilgesellschaft weiterhin die Führung übernehmen.
Ihr Widersacher, Ministerpräsident Irakli Kobachidse, hatte zuvor gesagt, Georgien werde keine Revolution wie 2014 in der Ukraine zulassen, als dort der russlandfreundliche Präsident Viktor Janukowitsch gestürzt wurde.
In Georgien war der politische Streit am Donnerstag offen ausgebrochen, als die Partei Georgischer Traum von Kobachidse erklärt hatte, man werde die EU-Beitrittsgespräche für die nächsten vier Jahre aussetzen, weil Georgien von der EU erpresst werde. Eine EU-Mitgliedschaft ist in Georgien bei den Bürgern populär. Die Ankündigung löste daher Proteste im Land aus. Das Land im Südkaukasus mit seinen 3,7 Millionen Einwohnern hat das Ziel eines EU-Beitritts auch in seiner Verfassung verankert.
Baerbock appelliert an Regierung
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) rief die Regierung in Tiflis auf, "die Stimme ihres Landes zu hören". In Online-Netzwerken gab es bereits Aufrufe zu erneuten Protesten. "Die Menschen in Georgien tragen zu zehntausenden Europas Herz auf die Straßen von Tiflis und halten den Wasserwerfern die EU-Flagge entgegen", erklärte Baerbock im Onlinedienst X. Georgiens Status als EU-Beitrittskandidat sei "eine historische Chance "Es ist an der Regierung, die Stimme ihres Landes zu hören."
USA setzen strategische Partnerschaft aus
Das US-Außenministerium erklärte, dass es seine strategische Partnerschaft mit Georgien ausgesetzt habe, nachdem die Partei Georgischer Traum beschlossen hatte, den Beitritt zur Europäischen Union zurückzustellen. "Wir verurteilen exzessive Gewalt gegen Georgier, die zu Recht gegen diesen Verrat an ihrer Verfassung protestieren - die EU ist ein Bollwerk gegen den Kreml", schrieb Außenministeriumssprecher Matthew Miller auf X.
Wieder Proteste
Die massiven Proteste hatten am Donnerstagabend begonnen. Tausende Menschen gingen seitdem auf die Straße - auch am Donnerstabend versammelten sich Tausende in der Hauptstadt Tiflis. Die Menschen versammelten sich vor dem Parlament und schwenkten die Fahnen Georgiens und der EU.
In den vergangenen Tagen hatte es mehr als hundert Festnahmen gegeben. Aus Protest blieben außerdem mehr als hundert Schulen und Universitäten geschlossen. Zudem veröffentlichten Hunderte Staatsbedienstete, insbesondere aus dem Außen- und Verteidigungsministerium sowie Richter gemeinsame Protestnoten.
Georgische Ermittlungsbehörden leiteten indes eine Untersuchung wegen Amtsmissbrauchs in Form von Gewalt gegen Demonstranten und Medienvertreter ein. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bestätigte eine "unverhältnismäßige und wahllose Gewaltanwendung der Polizei", die eine "schwere Verletzung der Versammlungsfreiheit" darstelle.
Legitimität der Regierung fraglich
Georgien ist seit Dezember 2023 offiziell EU-Beitrittskandidat. Seitdem hat die Moskau-freundliche Regierung aber mehrere Gesetze verabschiedet, die in Brüssel große Sorge hervorrufen, darunter ein Gesetz nach russischem Vorbild gegen "ausländische Einflussnahme".
Präsidentin Surabischwili hatte das neue Parlament wegen Wahlbetrugsvorwürfen als verfassungswidrig eingestuft und das Wahlergebnis vor dem Verfassungsgericht angefochten. Rechtsexperten zufolge sind die Beschlüsse des neuen Parlaments ungültig, solange das Gericht nicht über Surabischwilis Antrag entschieden hat.
Der Regierungschef wirft der Opposition und dem EU-Botschafter in Georgien hingegen vor, den Aufschub der EU-Beitrittsverhandlungen falsch darzustellen. Ein EU-Beitritt seines Landes bis 2030 bleibe für ihn weiterhin "oberste Priorität", versicherte Kobachidse. Das Ziel des EU-Beitritts ist in der georgischen Verfassung verankert und wird Umfragen zufolge von 80 Prozent der Bevölkerung unterstützt.
Die EU fror Ende Juni den Beitrittsprozess mit Georgien ein. Das Europaparlament verabschiedete am Donnerstag eine Resolution, in der das Wahlergebnis in Georgien wegen "erheblicher Unregelmäßigkeiten" abgelehnt und eine Neuwahl gefordert wird.