Angespannte Lage in Georgien Krawalle in Tiflis - scharfe Kritik aus dem Ausland
In Georgien nehmen die Spannungen nach dem angekündigten Aufschub der EU-Beitrittsgespräche zu: Bei neuen Protesten kam es am Abend in der Hauptstadt Tiflis zu Krawallen. Die USA setzten ihre strategische Partnerschaft aus.
Bei neuen proeuropäischen Protesten in Georgien ist es vor dem Parlament in der Hauptstadt Tiflis zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten gekommen. Tausende Menschen errichteten am Samstagabend Barrikaden, schlugen Fensterscheiben ein und zündeten Feuerwerkskörper vor dem Parlament. Maskierte Polizisten in Schutzausrüstung setzten Gummigeschosse, Tränengas und Wasserwerfer gegen Demonstranten ein.
"Ich gebe zu, dass ich Angst habe, dass viele Menschen verletzt werden, aber ich habe keine Angst davor, hier zu stehen", sagte der 39-jährige Tamar Gelaschwili, der in Tiflis an den Protesten teilnahm. Hinter einem Fenster des Parlamentsgebäudes waren Flammen zu sehen. Auch in anderen Städten des Landes gab es Demonstrationen.
Proteste begannen am Donnerstagabend
Die massiven Proteste in dem Kaukasus-Staat hatten am Donnerstagabend begonnen. Sie richten sich insbesondere gegen den von Regierungschef Irakli Kobachidse angekündigten Aufschub der EU-Beitrittsverhandlungen des Landes bis 2028. Dagegen gingen bereits am Donnerstag- und Freitagabend tausende Menschen auf die Straße. Zudem veröffentlichten hunderte Staatsbedienstete, insbesondere aus dem Außen- und Verteidigungsministerium, sowie Richter gemeinsame Protestnoten. Aus Protest blieben außerdem mehr als hundert Schulen und Universitäten geschlossen. Mehrere georgische Botschafter erklärten ihren Rücktritt.
Bei den Protesten in der Nacht zu Samstag waren 107 Menschen wegen "Ungehorsams gegenüber rechtmäßigen Polizeianordnungen und geringfügigen Rowdytums" festgenommen worden, wie das georgische Innenministerium mitteilte. Zehn Polizisten hätten Verletzungen erlitten. Das Innenministerium erklärte, es werde weiterhin gegen gewalttätige Demonstranten vorgehen.
Untersuchung wegen Amtsmissbrauchs
Georgische Ermittlungsbehörden leiteten eine Untersuchung wegen Amtsmissbrauchs in Form von Gewalt gegen Demonstranten und Medienvertreter ein. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bestätigte eine "unverhältnismäßige und wahllose Gewaltanwendung der Polizei", die eine "schwere Verletzung der Versammlungsfreiheit" darstelle. Auch aus dem Ausland kam Kritik am Vorgehen der Sicherheitsbehörden.
Die USA setzten ihre strategische Partnerschaft mit Georgien aus, wie der Sprecher des US-Außenministeriums, Matthew Miller, mitteilte. Er verurteilte einen "unverhältnismäßigen Gebrauch von Gewalt gegen Georgier, die ihr Recht auf Protest ausüben". Die Entscheidung der Regierungspartei Georgischer Traum, den EU-Integrationsprozess auszusetzen sei "Verrat an der georgischen Verfassung", in der der EU-Beitritt des Landes als Ziel formuliert ist.
Baerbock appelliert an Regierung
Europäische Länder wie Frankreich, Großbritannien und Polen kritisierten das Vorgehen der Sicherheitsbehörden in Georgien ebenfalls. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock rief die Regierung in Tiflis auf, "die Stimme ihres Landes zu hören". "Die Menschen in Georgien tragen zu zehntausenden Europas Herz auf die Straßen von Tiflis und halten den Wasserwerfern die EU-Flagge entgegen", erklärte Baerbock im Onlinedienst X. Georgiens Status als EU-Beitrittskandidat sei "eine historische Chance.
Präsidentin verweigert Rücktritt
Die amtierende Präsidentin Salome Surabischwili, eine erklärte Gegnerin von Regierungschef Kobachidse, betonte in einer Fernsehansprache ihre "Solidarität" mit der "Widerstandsbewegung". "Wir werden zusammenhalten, bis Georgien seine Ziele erreicht hat: Rückkehr auf den europäischen Weg und Neuwahlen", sagte Surabischwili. In einem Interview mit der Nachrichtenagentur AFP sagte die Präsidentin, sie werde nicht aus dem Amt scheiden, bis die umstrittene Parlamentswahl vom Oktober wiederholt wird. "So lange es keine neuen Wahlen gibt und ein Parlament, das einen neuen Präsidenten nach neuen Regeln wählt, wird mein Mandat andauern", sagte Surabischwili.
Die Regierungspartei Georgischer Traum hatte nach ihrem von Betrugsvorwürfen überschatteten Sieg bei der Parlamentswahl mit ihrer Parlamentsmehrheit die Wahl eines neuen Staatspräsidenten am 14. Dezember beschlossen. Surabischwili hatte das neue Parlament wegen Wahlbetrugsvorwürfen als verfassungswidrig eingestuft und das Wahlergebnis vor dem Verfassungsgericht angefochten. Rechtsexperten zufolge sind die Beschlüsse des neuen Parlaments ungültig, solange das Gericht nicht über Surabischwilis Antrag entschieden hat.