Ein als Silhouette abgebildeter Mann würgt eine Frau (gestellte Szene)

Gewalt an Frauen in Großbritannien Eine "nationale Notlage"

Stand: 23.07.2024 14:41 Uhr

Einem Bericht zufolge werden allein in England und Wales täglich 3.000 Gewalttaten an Frauen und Mädchen begangen. Die Polizei spricht von "epidemischen Ausmaßen" und einer "nationalen Notlage".

Gewalt an Frauen und Mädchen hat in Großbritannien drastische Ausmaße angenommen. In den zwölf Monaten von 2022 bis 2023 wurden allein in den Landesteilen England und Wales mehr als eine Million Gewalttaten an Frauen und Mädchen registriert. Dazu gehören unter anderem sexualisierte Gewalt, häusliche Gewalt, Stalking und Kindesmissbrauch. Das geht aus einem Bericht des Verbands der Polizeipräsidenten NPCC (National Police Chiefs' Council) hervor.

Jede zwölfte Frau betroffen

Das entspricht der Untersuchung zufolge beinahe 3.000 Taten pro Tag und 20 Prozent aller Straftaten, wenn man Betrug herausrechne. Mindestens eine von zwölf Frauen werde pro Jahr zum Opfer, so der Bericht. Die Dunkelziffer dürfte noch höher sein.

"Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist eine nationale Notlage", schrieb die stellvertretende Polizeipräsidentin Maggie Blyth, die für das Thema zuständig ist, in einem der Studie beigefügten Kommentar. Die Gesellschaft müsse aufhören, solche Taten als "unvermeidlich" zu akzeptieren, forderte sie.

Von April 2022 bis März 2023 machten diese Vergehen demnach fast ein Fünftel aller von der dortigen Polizei registrierten Verbrechen außer Betrug aus. Dies sei ein Anstieg um 37 Prozent im Vergleich zu 2018/2019.

"Epidemische Ausmaße"

Alljährlich begehe mindestens jeder 20. Erwachsene in England und Wales - das sind 2,3 Millionen Menschen - Gewaltverbrechen gegen Frauen und Mädchen, heißt es in der Untersuchung weiter. "Dies sind sehr vorsichtige Schätzungen, wir wissen, dass viele Vergehen nicht gemeldet werden und wir bei der Polizei oft nur die Spitze des Eisbergs sehen", erklärte Blyth. Sie kritisierte, dass Gewalt gegen Frauen und Mädchen "epidemische Ausmaße erreicht" habe. Die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte seien damit überfordert, der Staat müsse eingreifen.

Der Verband forderte die Regierung auf, ein nationales Zentrum für öffentliche Sicherheit einzurichten, um das Problem auf verschiedenen Ebenen anzugehen. Mit den bisherigen Institutionen und Strafverfolgung allein sei es nicht möglich, mit der Situation fertig zu werden. "Eine zentrale Anlaufstelle innerhalb der Polizei, die spezialisierte Fähigkeiten und Kompetenzen bündelt, würde die Polizeikräfte dabei unterstützen, ihre Reaktion auf Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu verbessern", sagte Blyth.

Auch Tech-Konzerne sollen in die Pflicht genommen werden. Diese müssten verhindern, dass Jungen mit frauenfeindlichem Material im Internet konfrontiert seien.

Mehr Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch

Die Untersuchung ergab außerdem einen drastischen Anstieg von erfassten Fällen von sexuellem Kindesmissbrauch. Ihre Zahl stieg demnach von 2013 bis 2022 um 435 Prozent von gut 20.000 auf knapp 107.000 Fälle. Dabei sind die Täter der Studie zufolge immer jünger, das Durchschnittsalter der Verdächtigen liege mittlerweile bei gerade einmal 15 Jahren.

Unter der kürzlich abgelösten konservativen Regierung hatte das Innenministerium im Februar 2023 Gewalt gegen Frauen und Mädchen zur nationalen Bedrohung erklärt. Mehr als 4.500 Polizistinnen und Polizisten wurden ausgebildet, um wegen Vergewaltigungen und anderer schwerer Sexualstraftaten zu ermitteln. Die Zahl der Anklagen wegen der Vergewaltigung von Erwachsenen stieg von Dezember 2022 bis Dezember 2023 um 38 Prozent.