Ein Mann sitzt am Glücksspielautomat in einem Café in der Provinz Siena (Toskana).

Glücksspiel in Italien Die Sucht lohnt sich mehr als deren Bekämpfung

Stand: 20.11.2024 06:38 Uhr

Glücksspiel in Italien ist ein riesiger Wirtschaftsfaktor, das Suchtproblem gewaltig. Doch die Regierung will die Mittel für dessen Bekämpfung weiter streichen - und das Spielangebot ausweiten. Denn es rentiert sich für den Staat.

Rubbellose, Sportwetten, Lotterien: Das Glücksspiel-Angebot in Italien ist riesig. In diesem Jahr wird Italiens Glücksspielindustrie einen neuen Einnahmerekord aufstellen. Italienerinnen und Italiener geben mehr Geld für Lose, Wetten & Co. aus als für ihre Gesundheit oder ihre Bildung.

Glücksspiel ist ein Wirtschaftsfaktor in Italien. Im Guten wie im Schlechten. Spielsucht ruiniert Menschen, Beziehungen, Leben. Doch ausgerechnet im neuen Haushaltsentwurf, der in diesen Tagen im Parlament diskutiert wird, plant die Regierung eine Kürzung der Mittel zur Bekämpfung und Prävention dieser Krankheit. Gleichzeitig plant der Finanzminister eine Ausweitung des Angebots.

Glücksspiel auf Schritt und Tritt

In Italien begegnet einem Glücksspiel auf Schritt und Tritt. Am Zeitungskiosk, im Tabakladen, in der Kaffeebar.

In der römischen Pink-Bar in Vatikannähe verkauft Sophia Cecilia nicht nur Espresso, Cappuccino, Cornetto. Hinter ihr hängen aufgereiht an einer langen Schnur verschiedenste Lose: bunt, verführerisch, preiswert. Der Einstiegspreis beim Lotto beträgt einen Euro. "Besonders beliebt sind die Rubbellose Gratta e Vinci", deren Gewinne sofort ausgezahlt werden, sagt Cecilia.

Und dann gebe es noch die regionalen und nationalen Lotterien. Allen voran "SuperEnalotto", das regelmäßig Schlagzeilen wegen des gigantischen Jackpots macht. Einmal sammelten sich sagenhafte 371 Millionen im Lostopf, weil monatelang kein Spieler sechs aus neunzig möglichen Zahlen auf dem Zettel hatte. Der Rekord-Jackpot wurde im Februar 2023 geknackt.

2023 fast 150 Milliarden Euro für Glücksspiele

Dem großen Angebot steht eine enorme Nachfrage gegenüber: 147 Milliarden und 700 Millionen Euro haben die Italiener im Jahr 2023 für Glücksspiele ausgegeben. In diesem Jahr werden es am Ende mehr 160 Milliarden sein, schätzt der Soziologe Maurizio Fiasco, Präsident der Vereinigung zur Erforschung des Glücksspiels.

"Wir geben 60 Prozent mehr dafür aus als Deutschland, das jedoch 40 Prozent mehr Einwohner hat." Fiasco macht auch einen Mangel an staatlicher Regulierung verantwortlich: "Wir fördern das Glücksspiel weiter, und das ist nicht ratsam für eine Politik, die das Land aus der Krise führen will."

Eineinhalb Millionen Italienerinnen und Italiener weisen ein problematisches Glücksspielverhalten auf, bis hin zur Spielsucht. So steht es in einem Bericht der nationalen Gesundheitsbehörde aus dem Jahr 2018. Angesichts der vor allem seit der Covid-Krise rasant gestiegenen Ausgaben für Lotterien und Wetten dürfte die Zahl der Betroffenen heute deutlich höher liegen. Es ist eine richtige Epidemie mit dramatischen Folgen für die Betroffenen.

"Eine Sache, die mir bewusst geworden ist, ist die verlorene Zeit", sagt der Schauspieler und Komiker Daniele Raco im Radiosender RAI Uno. "Das Geld mag für die einen viel sein und für andere wenig, während die Zeit für alle gleich ist. Ich habe sieben Jahre meines Lebens verloren." Schätzungen gehen von 140 Millionen Arbeitstagen aus, die bei Sportwetten, vor Glückspielautomaten oder am Computer verzockt werden.

Regierung Meloni will Angebot ausweiten

Und dennoch will die Regierung von Giorgia Meloni das Angebot ausweiten. Im Haushaltsentwurf, der gerade im Parlament beraten wird, seien bereits zusätzliche Einnahmen aus der staatlichen Lotterie mit eingerechnet, erklärte Finanzminister Giancarlo Giorgetti bei einer Anhörung im Haushaltsausschuss vor wenigen Tagen. Ein Fonds, der für nationale Notfälle gedacht ist, soll durch die Einnahmen aus einer zusätzlichen Lottoziehung gespeist werden.

Gleichzeitig streicht die Regierung 50 Millionen Euro, die zur Bekämpfung der Spielsucht gedacht sind. Dieser Fonds war vor mehr als zehn Jahren von der Regierung unter dem damaligen Ministerpräsidenten Mario Monti eingerichtet worden, um Präventionsmaßnahmen und Therapien zu koordinieren.

"Das war eine Maßnahme, um dem aggressiven Druck der Industrie etwas entgegenzusetzen", so Maurizio Fiasco, der trotz der übersichtlichen Erfolge die bisherige Anti-Spielsucht-Politik Italiens als vorbildlich bezeichnet. Nun knicke die Politik vor der Glücksspiel-Industrie ein. Es sei klar, "dass wir damit alle Schleusen für eine Neubelebung des Konsums, der Sucht und der damit verbundenen Funktionsstörungen eröffnen".

Regierung und Opposition streiten gerade heftig über den Haushalt für das Jahr 2025. Das Thema Glücksspiel wird dabei nicht einmal am Rande erwähnt.