Flüchtlinge in Irland Sunaks Asylpolitik verprellt Dublin
Der harte Kurs der britischen Regierung gegen Migranten wirkt sich auch auf Irland aus. Denn viele Flüchtlinge ziehen von Großbritannien dorthin weiter. Muss London sie zurücknehmen? Davon will Premier Sunak nichts wissen.
Mitte der Woche rollte der Bagger an. Eins nach dem anderen griff er die Planen und Zelte auf, die mehrere Straßen im Zentrum Dublins säumten, und hob sie zum Abtransport auf die Ladefläche eines Lkw.
Seit Wochen hatten hier Asylsuchende in Kälte und Regen vor der Behörde gecampt, die ihre Anträge prüft. Einige der Migranten waren gerade erst in Irland angekommen - aus Großbritannien.
Vor der Behörde in Dublin zogen sich die Zelte der Migranten über mehrere Bürgersteige.
Vorwürfe an die Adresse Sunaks
An ihnen ist nun zwischen den Regierungen in Dublin und London ein Streit entbrannt. "Offensichtlich kommen mehr Menschen aus England nach Nordirland und von dort in unsere Republik", hatte Micheal Martin, Außenminister Irlands festgestellt. Und: Es sei klar, dass das mit der Ruanda-Politik Großbritanniens zusammenhänge.
Einige Minister schätzen, dass mehr als 80 Prozent der rund 6.700 Migranten, die in diesem Jahr bislang Asyl gesucht haben, über die offene Grenze Nordirlands gekommen sind, also aus dem Vereinigten Königreich - deutlich mehr als sonst.
Sunak sieht sich bestätigt
Den britischen Premierminister Rishi Sunak stimmt das zufrieden. Er sieht die Zahlen als Beweis dafür, dass seine Ruanda-Politik aufgehe. "Stop the boats" war eines seiner Kernversprechen im Wahlkampf, also das Aufhalten Geflüchteter, die über den Ärmelkanal nach Großbritannien kommen, durch Abschreckung.
Migranten, die ohne Papiere einreisen, sollten nach Ruanda abgeschoben werden. Nach viel Hin und Her hat das Parlament diesen umstrittenen Plan Ende April abgesegnet. Und das, obwohl der britische Oberste Gerichtshof entschieden hatte, Ruanda sei kein sicherer Drittstaat.
Irland will kein Schlupfloch sein
Doch was Sunak als Bestätigung für seine Innenpolitik sieht, sorgt in Irland für gereizte Stimmung. Er werde nicht erlauben, dass die Migrationspolitik anderer Staaten die Irlands beeinflusse, so Simon Harris, der irische Regierungschef. Irland werde kein Schlupfluch für die Probleme anderer bieten.
Am liebsten würde Harris die geflüchteten Menschen gleich wieder zurück nach Großbritannien schicken. Doch das geht nicht. Denn wegen der umstrittenen Ruanda-Politik hatte der Oberste Gerichtshof in Dublin Großbritannien als unsicher erklärt.
Nun plant Irland wiederum ein Gesetz, das Großbritannien doch zum sicheren Drittstaat erklären soll.
Ein Vorschlag mit Hintergedanken
Die Lage ist also vertrackt. Sunak sieht auch gar nicht ein, warum sein Land die Geflüchteten zurücknehmen sollte. Man werde keine Rückführungen aus der EU via Irland akzeptieren, wenn Frankreich keine Rückführungen illegal Eingereister aus England akzeptiere, so der Premier.
Stattdessen soll Sunak Irland vorgeschlagen haben, doch einfach Teil seines Ruanda-Plans zu werden, berichtet der Londoner "Daily Telegraph".
Doch auf der grünen Insel schrumpft das Verständnis für den Nachbarn. Der irische Politiker Barry Andrews, der Dublin im Europaparlament vertritt, rief zu konstruktiven Gesprächen auf. Man solle versuchen, erwachsene Unterhaltungen miteinander zu führen. Schließlich seien beide Länder in der Migrationspolitik aufeinander angewiesen.
In Irland wandelt sich die Stimmung
Tatsächlich steht sowohl für Großbritannien als auch für Irland viel auf dem Spiel. In Irland kippt seit geraumer Zeit die sonst so gastfreundliche Stimmung. Das Land ist von einer schweren Wohnungskrise betroffen.
Erst im vergangenen November hatten gewaltsame Randale in Dublin, gepaart mit fremdenfeindlichen Parolen, die Politik aufgerüttelt. Nun stand sogar kurz im Raum, die Grenze zu Nordirland zu kontrollieren, um die Flüchtlinge aus Großbritannien dort direkt zu stoppen.
Doch Irland verwarf den Plan wieder. Dass die Grenze offenbleibt, war schließlich integraler Bestandteil der Brexit-Verhandlungen, um ein Wiederaufflammen des Nordirlandkonfliktes zu vermeiden.
Sunak klammert sich an den Ruanda-Plan
In London stehen Sunak und seine konservative Partei unter Druck. Die Wähler wenden sich reihenweise ab. Sunak klammert sich also an den Ruanda-Plan, um ein letztes bisschen Stärke zu demonstrieren.
Doch aus Sicht der Opposition geht das nach hinten los. Gerade erst veröffentlichte das Innenministerium ein Video, das Einblicke in den Abschiebeprozess gibt. Beamte klingeln bei Flüchtlingen zu Hause und transportieren sie in Handschellen in Gefangenenwagen ab - als Vorbereitung auf die im Sommer geplanten Abschiebungsflüge nach Afrika.
Als "erbärmlichen, faschistischen Nonsens" zerriss die SNP-Abgeordnete Alison Thewliss das Video. Ihr drehe sich beim Anschauen der Magen um. Immer wieder hatte die Opposition in Westminster die Ruanda-Pläne als weder praktisch noch rechtlich abgesichert kritisiert.
Protest gegen ein Wohnschiff
Gleichzeitig demonstrierten in London etliche Menschen gegen die Überführung von Migranten auf die umstrittene Bibi Stockholm, ein Wohnschiff mit bis zu 500 Schlafplätzen, das in Portland ankert. In der Vergangenheit gab es in der beengten Flüchtlingsunterkunft bereits einen Legionellen-Ausbruch. Ein Asylsuchender hatte im Dezember Suizid auf dem Schiff begangen. Bei den Demonstrationen nahmen die Polizisten 45 Menschen fest.
Die Leidtragenden des Muskelspielens in Westminster und Dublin sind nun die Geflüchteten. Ihre Zukunft ist zunächst ungewiss. Profit schlagen wohl nur einige Schleuser. Ein Flüchtling berichtete dem TV-Sender Channel Four, er habe beobachtet, wie sie für 1.200 Pfund einigen gerade angekommenen Geflüchteten Fahrten nach Dublin über die offene Grenze angeboten hätten. Das Busticket Belfast-Dublin kostet keine zwanzig Pfund.