Abschaffung von Bürgergeld in Italien "Ein Kampf gegen die Armen"
Die Nachricht kam per SMS: Rund 169.000 Haushalten in Italien wurde die Sozialhilfe schon gestrichen, zahlreiche weitere sollen folgen. Es gibt Proteste - und die Opposition sieht sich im Aufwind.
Sie sind wütend - und das haben sie heute in Neapel lautstark kundgetan. Mehrere Hundert Menschen zogen am Mittag auf die zentrale Piazza del Plebiscito, aus Protest gegen die Abschaffung der bisherigen Sozialhilfe durch die Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni.
Antonio gehört zu denen, die ab sofort kein Geld mehr bekommen. "Ich möchte wissen, wie ein Christenmensch jetzt seinen Kindern zu essen geben soll", klagt der 53-Jährige. Er zahle 400 Euro Miete, dazu kämen die Nebenkosten. "Und jetzt gibt es die Sozialhilfe nicht mehr - was soll ich machen?"
Wie 20 Prozent der Menschen in Neapel ist Antonio arbeitslos und lebt bislang von der Sozialhilfe. Ähnlich geht es seinem Bekannten Luigi, auch er ist seit Jahren ohne festen Job. "Ohne dieses Geld habe ich Probleme", sagt er. Er und alle anderen hätten ein Recht auf ein Minimum an Unterstützung, um irgendwie über die Runden zu kommen. Denn, sagt Luigi: "Wir leben in einer Welt, wo es für uns nur ums Überleben geht."
Mitteilung per SMS
Bislang haben insgesamt 1,1 Millionen Menschen in Italien das sogenannte Bürgergeld bekommen. Plus Kinder und Ehepartner profitierten circa zweieinhalb Millionen Personen, rechnet die auszahlenden Rentenanstalt INPS vor. Die Regierung Melonis hatte im Dezember beschlossen, diese Sozialhilfe bis Ende 2023 zu streichen. Jetzt, Anfang August, fällt bereits für die ersten 169.000 Haushalte die Unterstützung weg. Mitgeteilt wurde dies den Empfängerinnen und Empfängern per schlichter SMS-Nachricht.
Italiens seit Monaten schwächelnde Opposition verspürt Aufwind angesichts der Proteste gegen das Ende der Sozialhilfe. Giuseppe Conte, Chef der linken Fünf-Sterne-Bewegung, attackiert Meloni und ihre Verbündeten. Die Entscheidung der Regierung, die Sozialhilfe zu streichen, treffe den Teil der Bevölkerung, der die größten Schwierigkeiten hat, und provoziere "ein soziales Desaster". Es sei, formuliert Conte "ein Krieg, ein Kampf gegen die Armen und nicht gegen die Armut".
"Hat nicht funktioniert, um Menschen in Arbeit zu bringen"
Unter Conte als Ministerpräsident war die Unterstützung 2019 eingeführt worden. Offiziell heißt sie reddito di cittadinanza, wörtlich übersetzt: Bürgergeld. Faktisch aber ist es eine Sozialhilfe - die Bezieherinnen und Bezieher müssen ihre Bedürftigkeit nachweisen. Der Höchstsatz des reddito beträgt 780 Euro im Monat. Die meisten, die diese Sozialhilfe beziehen, leben im ärmeren Süditalien. Vor allem dort sind in diesen Tagen Menschen zu - häufig spontanen - Protesten auf die Straße gegangen, nicht nur in Neapel.
Meloni und andere Politiker der Rechten hatten bereits im Wahlkampf angekündigt, das Bürgergeld abschaffen zu wollen. Begründung: Die Sozialhilfe sei ein Anreiz, nicht zu arbeiten. Zu den aktuellen Protesten hat sich Meloni noch nicht geäußert. Einer der Fraktionschefs ihrer Koalition dagegen, Riccardo Molinari von der Lega, verteidigt das Ende der Sozialhilfe: "Das Bürgergeld hat nicht funktioniert als Mittel, um Menschen in Arbeit zu bringen. Deswegen ist es von uns überarbeitet worden."
Bei Ablehnung von Arbeitsplatz kein Geld mehr
Anstelle der bisherigen Sozialhilfe führt die Regierung Meloni eine sogenannte Eingliederungsbeihilfe (assegno di inclusione) von maximal 500 Euro ein. Das Geld gibt es nicht in bar, sondern per Karte, die für Einkäufe des täglichen Bedarfs, aber beispielsweise nicht für Alkohol und Zigaretten verwendet werden darf. Diese Beihilfe bekommen nur Familien, in denen minderjährige Kinder, über 60-Jährige oder Menschen mit Behinderung leben.
Für alle anderen, die als arbeitsfähig gelten, ist die neue Ausbildungs- und Arbeitsunterstützung (supporto alla formazione e al lavoro) in Höhe von maximal 350 Euro pro Monat gedacht. Das Geld gibt es für diejenigen, die sich qualifizieren oder weiterbilden. Die Unterstützung wird allerdings gestrichen, wenn sich jemand weigert, einen angebotenen Arbeitsplatz anzunehmen. Ab Anfang nächsten Jahres müssen Arbeitsangebote in ganz Italien akzeptiert werden.