Mehr Autonomie für Korsika Weiter weg von Frankreich, aber wie?
Im September versprach der französische Präsident den Bewohnern der Mittelmeerinsel Korsika mehr Autonomie. Nicht ganz einfach, denn auch die knapp 350.000 Korsinnen und Korsen sind sich uneins, wie stark sie sich von Paris lösen wollen.
"Dort hat es vier Explosionen gegeben, eine weitere Ladung ist nicht detoniert!" Bürgermeister Patrick Sanguinetti steht auf der Treppe seines Rathauses in Brando im Nord-Osten Korsikas und zeigt auf die knapp 200 Meter entfernten Häuser auf dem Hügel.
Am Abend des 8. Oktober bekam er den Anruf eines Bewohners, dass eine Gasflasche im Garten liegt. "Die Teile sind bis in Ortskern geflogen, bis zur Bäckerei", berichtet der Bürgermeister. Nicht nur die kleine Gemeinde Brando wurde getroffen.
Auf der ganzen Insel gab es an dem Abend mehr als 20 Anschläge. Die Attentate zielten vor allem auf Ferienhäuser. "Wir haben eine Familie evakuiert. Wir hatten Sorge, dass es noch weitere Detonationen gibt", so Sanguinetti. Verletzte gab es keine.
Ein Ferienhaus nach Anschlag in Brando, im Nord-Osten Korsikas. Auf der ganzen Insel gab es am Abend des achten Oktobers mehr als 20 Anschläge.
"Keine Zukunft mit Frankreich"
Die klandestine Separatisten-Gruppe FLNC, die Korsische Nationale Befreiungsfront, reklamierte die Anschläge für sich. In ihrem Bekennerschreiben schreiben sie: "Es gibt keine gemeinsame Zukunft mit Frankreich."
Seit dem letzten Jahr hat es immer wieder kleinere Anschläge auf der Insel gegeben. "Es ist nur eine absolute Minderheit der Korsen, die das gut findet. Das sind winzige Gruppen. Mehr Unabhängigkeit ja, aber es gibt doch andere Wege als Gewalt", sagt Bürgermeister Sanguinetti.
Die Anschläge ereigneten sich nur kurze Zeit, nachdem der französische Präsident Emmanuel Macron die Insel besucht hatte. Er versprach den Korsen mehr Autonomie: "Lasst uns den Mut haben, eine Autonomie für Korsika zu schaffen, innerhalb der Republik", sagte er in seiner Rede vor dem korsischen Regionalparlament. Im zentral gesteuerten Frankreich kommt das einer Revolution gleich.
Angst vor neuer Eskalation
Wer heute über die Insel fährt, sieht überall Graffitis: Zu Lesen ist, "Franzosen geht nach Hause" oder das Logo der klandestinen Separatisten-Gruppe FLNC, der korsischen nationalen Befreiungsfront. Nach dem jahrzehntelangen blutigen Unabhängigkeitskampf war es zuletzt ruhig auf Korsika gewesen.
Doch das hat sich geändert. Im Frühjahr wurde der regelrecht als Held verehrte Separatist Yvan Colonna im Gefängnis in Arles von einem Mithäftling attackiert und verstarb. Der Druck auf die französische Regierung stieg, Korsika mehr Autonomie zuzugestehen. Zu groß war die Angst vor der Rückkehr eines gewaltsamen Unabhängigkeitskampfes. Seitdem laufen die Verhandlungen.
Austritt ausgeschlossen
Bei seinem Besuch forderte Macron das korsische Regionalparlament auf, bis zum neuen Jahr einen Vorschlag auszuarbeiten, wie die korsischen Behörden mehr Befugnisse bekommen sollen und wie der Autonomiestatus in der französischen Verfassung verankert werden kann. Dass Korsika aus der Französischen Republik ausschert, ist für den Präsidenten ausgeschlossen, auch wenn einige auf Korsika sich das wünschen.
Schon jetzt verfügt die Insel über Privilegien, die andere Regionen in Frankreich nicht haben. So zahlen die Korsen zum Beispiel eine deutlich reduzierte Mehrwertsteuer auf Lebensmittel, Getränke, Hotels oder Benzin, um die höheren Lebenskosten auf der Insel auszugleichen. Auch dass die korsische Sprache Pflichtunterricht in der Grundschule ist, gibt es in anderen Regionen nicht.
Probleme vor Ort lösen
Der Unternehmer Ghjuvan’Carlu Simeoni begrüßt, dass nun über mehr Autonomie verhandelt wird: "Es steht nicht zur Debatte, ob wir Franzosen sind oder nicht. Wir müssen stärker für uns selbst verantwortlich sein - und Fragen, die uns konkret betreffen, auch vor Ort beantworten." Denn bisher blieben viele Probleme vor Ort ungelöst. Korsika sei, die Überseegebiete ausgenommen, immer noch die ärmste Region im Land.
Simeoni versucht, auch selbst etwas zu verändern. Der 42-Jährige leitet den Investmentfonds FemuQui, der Geld von Privatleuten und Banken sammelt und ausschließlich in korsische Firmen investiert. Denn von kleinen und mittleren Unternehmen gebe es auf Korsika viel zu wenige.
"Wir müssen erst mal die wirtschaftlichen Grundlagen schaffen, um unabhängiger von Frankreich zu werden. Wie soll das sonst funktionieren, wenn wir keine Wirtschaft, keine Arbeitsplätze, keine Wertschöpfung haben", fragt er.
Aus einer korsischen Idee geboren
Auf ein Projekt ist er besonders stolz: Die Firma Soleco, die Solaranlagen baut und sie von Korsika aus steuert. "Wir sind aus der Idee heraus geboren, dass es in Korsika viele abgelegene Täler gibt. Es mussten Lösungen gefunden werden, wie sie mit Strom versorgt werden", sagt Olivier Martinelli von Soleco.
Für ihn seien Firmen wie ihre wichtige Schritte hin zu mehr Selbstständigkeit. "Man muss doch realistisch sein: Autonomie gibt es nicht ohne Wirtschaft."
Der Unternehmer Ghjuvan’Carlu Simeoni im Gespräch mit Olivier Martinelli von der Solarfirma Soleco. Die korsische Firma baut Solaranlagen und liefert sie auch aufs französische Festland oder nach Italien.
Problem: Mafiöse Strukturen
400.000 Euro hat FemuQui über mehrere Jahre in die Soleco investiert. Gab es zu der Zeit 20 Mitarbeiter, sind es jetzt 80, erinnert sich Simeoni. Inzwischen verkaufe die Firma ihre Anlagen auch aufs französische Festland oder nach Italien - und steuere von vor Ort 700 Anlagen. "Genau deshalb machen wir so etwas", sagt er. Der Export sei aber wichtig.
"Es gibt auf der Insel einfach keinen ausreichend großen Markt, weil wir zu wenige sind", sagt Simeoni. Deshalb müsse man auch andere Märkte mitdenken und nicht nur die knapp 350.000 Korsinnen und Korsen im Blick haben.
Anfangs haben nur überzeugte Privatleute von der Insel in FemuQui investiert. Nicht nur die schwache Wirtschaftsleistung hat Investoren von außerhalb abgeschreckt, sondern auch mafiöse Strukturen. "Man darf Korsika nicht darauf herunterreduzieren und das auf gar keinen Fall akzeptieren", sagt Simeoni.
Er beobachtet, dass das Vertrauen in die korsische Wirtschaft deutlich besser geworden sei. Inzwischen sind auch Banken und andere Institutionen bei FemuQui dabei.
Geht es um die Zukunft der französischen Mittelmeerinsel sind noch viele Detailfragen ungeklärt.
Mehrheit noch schwer abzusehen
Hinter verschlossenen Türen geht es bei den aktuellen Verhandlungen über mehr Autonomie zum Beispiel darum, ob Korsika eigene Gesetze machen darf oder ob es besondere Regeln für Einheimische für den Immobilienerwerb geben soll.
Im neuen Jahr werden Ergebnisse erwartet. Genauso ist Thema, wie ein besonderer Status Korsikas in der französischen Verfassung verankert werden soll. Doch dafür, braucht die Regierung eine breite Mehrheit im Parlament - und ob sie die bekommen werden, ist noch nicht abzusehen.