Finnland und Schweden Türkei blockiert Start der NATO-Beitrittsgespräche
Die Türkei macht offenbar ernst und blockiert mehreren Medien zufolge den Beginn der NATO-Beitrittsgespräche, die eine Aufnahme Finnlands und Schwedens ermöglichen sollen. Die Türkei will deren Beitritt nur unter Bedingungen zustimmen.
Nur wenige Stunden, nachdem Finnland und Schweden ihre Anträge für die Aufnahme in die NATO eingereicht hatten, sollte der Beschluss fallen, den dafür notwendigen Beitrittsprozess zu starten. Doch wie mehrere Medien übereinstimmend berichten, machte die Türkei diesem Vorhaben einen Strich durch die Rechnung und blockierte den Beschluss.
Damit Schweden und Finnland Teil der Militärallianz werden, müssen alle 30 bisherigen Mitgliedsstaaten einer Aufnahme zustimmen. Die Türkei hatte bereits angedroht, ihr Veto gegen den Beitritt der beiden Länder einzulegen.
Das Veto als Druckmittel
Die türkische Regierung verknüpft die Zustimmung für eine Aufnahme der beiden potenziellen Beitrittskandidaten mit mehreren Forderungen. Dahinter stehen vor allem innerpolitische Sicherheitsbedenken der Türkei, für die der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan das Veto im NATO-Rat nun offenbar als Druckmittel nutzt.
Ein Knackpunkt ist der Umgang des Westens mit der kurdischen Arbeiterpartei PKK und der Kurdenmiliz YPG. Beide Organisationen stuft die Türkei als terroristische Bedrohung für das eigene Land ein. In der YPG sieht sie den syrischen Ableger der PKK.
Im Jahr 2019 marschierte die Türkei in Nordsyrien ein. Unter dem Namen "Operation Friedensquelle" startete die Türkei Luft- und Artillerieangriffe und schickte Bodentruppen in den nördlichen Teil des Nachbarlandes. Von westlichen Staaten wurde der Einmarsch verurteilt. Die PKK ist zwar auch in den USA und in Europa verboten, die YPG wird dort jedoch nicht als Terrororganisation eingestuft. Im Gegenteil gilt sie als Verbündeter der USA im Kampf gegen den "Islamischen Staat" in Syrien.
Erdogan kritisiert Unterstützung von "Terroristen"
In der aktuellen Debatte wirft Erdogan Finnland und Schweden vor, sowohl die PKK als auch die YPG zu unterstützen. In einer Rede an seine islamisch-konservative Regierungspartei AKP in Ankara bekräftigte der türkische Präsident diese Haltung. Die NATO-Erweiterung um die beiden Mitglieder gehe für die Türkei einher mit dem Respekt, den man ihren Empfindsamkeiten entgegenbringe, betonte Erdogan. An Schweden gerichtet erhob er den Vorwurf, mindestens 30 "Terroristen" - also mutmaßliche Anhänger der kurdischen Organisationen - nicht ausliefern zu wollen, trotz durch die Türkei gestellter Anträge.
"Die NATO ist ein Sicherheitsbund, eine Sicherheitsorganisation. Insofern können wir nicht ja dazu sagen, dieses Sicherheitsorgan unsicher zu machen", warnte Erdogan in seiner Rede in Ankara. Schweden und Finnland würden den Anliegen der Türkei nicht nachkommen, gleichzeitig aber die Unterstützung für den NATO-Beitritt einzufordern. "Das ist milde ausgedrückt ein Widerspruch."
Experten mutmaßen, dass die Türkei in der gesamten NATO ein strikteres Vorgehen gegen PKK und YPG durchsetzen will. "Ankara vermisst Solidarität unter den NATO-Partnern, wenn es um die PKK und die YPG geht, die sie als existenzielle Bedrohung sieht", sagte etwa Mustafa Aydin, Professor für Internationale Beziehungen an der Kadir-Has-Universität gegenüber der Nachrichtenagentur dpa.
Wieder mehr Waffen für die Türkei?
Ein weiterer Streitpunkt, der bei Erdogans Agieren eine Rolle spielen könnte, sind Waffenlieferungen. Einige EU-Länder, darunter Deutschland und Schweden, hatten Rüstungsexporte in die Türkei als Reaktion auf den Einmarsch in Nordsyrien 2019 eingeschränkt. Und auch die USA verhängten Sanktionen gegen die Türkei, nachdem deren Regierung das Raketenabwehrsysteme vom Typ S-400 aus Russland einkaufte. So wurde die Türkei unter anderem aus dem F-35-Kampfjet-Programm ausgeschlossen.
Mit der Blockade gegen eine NATO-Aufnahme Finnlands und Schwedens könnte die Türkei versuchen, die bestehenden Restriktionen bei Waffenimporten aus dem Westen aufzuheben.
Stoltenberg peilt rasche Aufnahme an
Die NATO hatte Schweden und Finnland wiederholt einen schnellstmöglichen Beitritt zugesichert. Ein Sprecher des Bündnisses wollte sich zum derzeitigen Stand der Gespräche im NATO-Rat nicht äußern. Er betonte lediglich, dass Generalsekretär Jens Stoltenberg entschlossen sei, zu einer raschen Lösung für Finnland und Schweden zu kommen. "Beide Länder sind unsere engsten Partner, und ihr Beitritt zur NATO würde die euroatlantische Sicherheit stärken", sagte er.
Am Dienstag hatte das finnische Parlament zugestimmt, die Aufnahme in die NATO zu beantragen, zuvor hatte auch das Parlament in Schweden dafür votiert. Beide Länder hatten am Morgen ihre Anträge bei der NATO eingereicht.
Finnlands Regierungschefin Sanna Marin hatte bei einem Besuch in Italien ihre Hoffnung auf eine zügige Aufnahme erneut bekräftigt. "Eine Mitgliedschaft in der NATO wird Finnlands Sicherheit verbessern und zugleich auch die Allianz stärken", betonte sie in Rom. Die gemeinsame Aufnahme mit Schweden werde zu mehr Sicherheit und Stabilität im Baltikum und in ganz Nordeuropa führen.
Wachsende Zustimmung für NATO-Beitritt
Jahrzehntelang hatten Finnland und Schweden Bündnisneutralität gewahrt - doch ausgelöst durch den Angriff Russlands auf das Nachbarland Ukraine setzte in beiden Ländern ein Umdenken ein. In der Bevölkerung beider Staaten nahm die Zustimmung für einen Beitritt zur Militärallianz kontinuierlich zu.
Zuvor hatte vor allem Finnland einen Beitritt mit dem Argument ausgeschlossen, dass es einen Konflikt mit seinem Nachbarn Russland vermeiden wolle. Beide Länder haben eine mehr als 1300 Kilometer lange Grenze.
Bundesregierung stimmt für Beitritt
Die Bundesregierung stimmte einem Beitritt Finnlands und Schwedens zur NATO bereits zu. Das Bundeskabinett billigte die Unterzeichnung der Protokolle zum Nordatlantikvertrag über die Aufnahme beider Staaten.
Bundeskanzler Olaf Scholz hatte den beiden potenziellen neuen NATO-Mitgliedern schon am Dienstag versichert, dass sich Deutschland für eine schnelle Ratifizierung ihrer Beitrittsgesuche einsetzen werde. Am Vormittag betonte Scholz abermals, dass sich die Bundesrepublik schon jetzt zum gegenseitigen Schutz verpflichtet fühle, auch wenn Schweden und Finnland noch nicht offiziell Teil des Verteidigungsbündnisses seien.
Auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock begrüßte auf Twitter nochmals ausdrücklich die Entscheidung von Finnland und Schweden, der NATO beitreten zu wollen. Die Grünen-Politikerin hatte zuvor von einem "historischen Moment" in einer "hochdramatischen Lage" gesprochen und ebenso wie Kanzler Scholz auf die schnellstmögliche Aufnahme beider Länder gedrängt.