Verhältnis zu NATO und EU Wie Viktor Orban Verbündete erpresst
Ob Schwedens NATO-Beitritt oder eine neue EU-Migrationspolitik: Immer wieder fällt Ungarns Regierungschef Orban damit auf, die Zusammenarbeit in internationalen Bündnissen zu blockieren. Was steckt dahinter?
Die nächste Erpressung ist bereits heraufbeschworen: Am Freitag vergangener Woche machte Ungarns Regierungschef Viktor Orban klar, dass er von der EU-Beitrittsperspektive für die Ukraine wenig hält.
Bevor Beitrittsgespräche überhaupt begonnen werden könnten, müssten "sehr schwierige Fragen" beantwortet werden, so Orban im staatlichen Radio.
Die EU-Länder wollen im Dezember entscheiden, ob Beitrittsgespräche aufgenommen werden können. Dafür wäre eine einstimmige Entscheidung nötig. Orban baut also, mal wieder, ein Drohszenario auf.
Blockade, wenn es nutzt
Denn es sind genau solche einstimmigen Entscheidungen, die Orban immer wieder nutzt, um in der Europäischen Union und auch im Verteidigungsbündnis NATO querzuschießen.
Einige Beispiele: Für das EU-Öl-Embargo gegen Russland hat Ungarn unter Androhung einer Blockade eine unbefristete Ausnahme erwirkt.
Außerdem sperrt sich das Land seit Mai gegen die Auszahlung von EU-Milliarden an die Ukraine im Rahmen der sogenannten Friedensfazilität. Denn die Ukraine hatte die ungarische Bank OTP auf einer "Kriegstreiber-Liste" aufgeführt. Jetzt hat Kiew das revidiert - und Ungarn könnte den Weg für die Milliarden freimachen. Aber nur gegen diese Gegenleistung.
Und solange die Ukraine die Sprachrechte für Minderheiten in Schulen für die ungarische Minderheit nicht wieder herstellt, will Ungarn die Ukraine in internationalen Angelegenheiten nicht unterstützen. Das sagte Orban Anfang letzter Woche im Parlament. Ende der Woche folgte dann die kritische Aussage zu den möglichen EU-Beitrittsgesprächen der Ukraine.
Herausforderungen für Bündnispartner
Auch auf NATO-Ebene erschwert Ungarn seinen Bündnispartnern das Leben: Waffenlieferungen über sein Territorium erlaubt Ungarn nur, wenn sie nicht direkt ins Nachbarland Ukraine gehen.
Und seit Monaten setzt das Parlament in Budapest den Beitritt Schwedens in das Verteidigungsbündnis einfach nicht auf die Agenda. Immer wieder hat Viktor Orban Schweden vorgeworfen, vermeintlich Lügen über den desolaten Zustand der ungarischen Demokratie und des Rechtsstaats zu verbreiten.
Als Beispiele zog er die Berichterstattung unabhängiger Medien heran. Ein Umstand, der seine Vorstellung von Pressefreiheit illustriert.
Abgrenzung von äußeren "Feinden"
Die zunehmende Machtfülle von Orban und seiner Fidesz-Partei dürfte einer der Gründe sein, warum Orban immer wieder gegen die EU und andere Verbündete austeilt.
Diese Macht lebt auch davon, dass Orban sich als einziger Beschützer Ungarns, seiner mehrheitlich weißen und christlichen Bevölkerung, der Identität und Sprache des Landes geriert.
Um dieses Bild zu zeichnen, nutzt er die Abgrenzung von äußeren "Feinden" - sei es Brüssel, seien es muslimische Migranten oder eben ein vermeintlich zu kritisches Schweden.
Orban arbeitet an Machtausbau
Politische Analysten erzählen immer wieder, dass seine Abwahl im Jahr 2002, nach einer ersten Amtsperiode, Orban stark getroffen habe. Seit seiner Wiederwahl 2010 arbeite er unermüdlich daran, seine Macht auszubauen und zu stabilisieren.
Dazu gehört auch, Ungarn auf internationaler Ebene möglichst viele Vorteile zu verschaffen. Etwa durch Milliardenzahlungen aus der EU. Ungarn ist einer der größten Netto-Empfänger.
Seit allerdings das Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn läuft, hat Orban ein Einnahmenproblem. Zudem leidet das Land unter einer Wirtschaftskrise und einer hohen und hartnäckigen Inflation.
Verbündete bleiben
Dass Orban international isoliert wäre, das ist allerdings trotz seines Bündnisminimalismus nicht absehbar. Immer wieder finden sich Staaten, die Budapests Kurs mittragen. In der NATO hat etwa auch die Türkei den schwedischen Beitritt noch nicht durchgewunken.
Beim Asylkompromiss der EU, für den keine Einstimmigkeit nötig ist, stimmten neben Ungarn zunächst auch Polen, Tschechien, die Slowakei, Bulgarien und Malta nicht zu.
Nachdem die spanische Ratspräsidentschaft vergangene Woche einen Kompromissvorschlag auf den Tisch legte, blieben laut Diplomaten noch zwei Nein-Sager übrig: Polen und Ungarn.
Auch die österreichische Regierung pflegt gute Beziehungen zu Orban und arbeitet etwa beim Grenzschutz eng mit Ungarn zusammen. Zusammen mit Polen und der Slowakei hält Ungarn zudem an Importbeschränkungen für ukrainisches Getreide fest, obwohl die EU-Kommission diese aufgehoben hatte.