Polen und Ungarn beim EU-Gipfel In Brüssel verweigern, zu Hause Stimmung machen
Dass sich Polen und Ungarn im Asylstreit querstellen würden, war zu erwarten. Denn für Morawiecki und Orban ist das Thema ein willkommener Anlass: Um zu Hause Stimmung für die eigene Politik zu machen.
Hat wirklich irgendjemand ernsthaft etwas anderes erwartet? Dass Ungarn und Polen jede Gelegenheit nutzen werden, um auf offener Bühne über die europäische Asyl-Politik herzuziehen, ist doch seit dem Kompromiss der EU-Innenministerinnen und Minister vor drei Wochen sonnenklar. Denn schon damals hatten die Regierungen Orban und Morawiecki Gift und Galle gespuckt und sich über das angeblich undemokratische Verfahren empört.
Und heute? Spricht Viktor Orban allen Ernstes von einem "Migrationskrieg im Sitzungssaal" und nennt den Widerstand gegen eine Gipfel-Erklärung in Sachen Asyl einen "Freiheitskampf". Wie bitte? Nur zur Erinnerung: Die große Mehrheit der Mitgliedsstaaten hat den Weg für eine Verschärfung des Asylrechts freigemacht. Mit Schnellverfahren an den Außengrenzen und einer Pflicht zur Aufnahme von Migranten, von der man sich allerdings freikaufen kann. Und wie das bei Kompromissen nun mal so ist: Den einen - wie Deutschland oder Luxemburg - sind die Regeln zu streng, anderen nicht streng genug.
Gut möglich, dass Ungarn und Polen klagen werden
Aber egal wie man inhaltlich dazu steht: Die Entscheidung der Ministerrunde gilt, die Verhandlungen mit dem Europaparlament laufen schon und am Ende wird eine gesetzliche Regelung stehen, an die sich alle zu halten haben. Ansonsten drohen Vertragsverletzungsverfahren und Bußgelder, die teurer sein werden als die Strafzahlungen aus dem Asylrecht. Und wer das alles für falsch hält, der kann beim Europäischen Gerichtshof klagen. Was Ungarn und Polen wahrscheinlich auch tun werden. Immer vorausgesetzt natürlich, dass die rechtspopulistische PiS-Partei in Warschau dann noch regiert.
Und damit sind wir beim eigentlichen Kern. Die beiden - um im Bild zu bleiben - "Waffenbrüder" in diesem angeblichen "Migrationskrieg" haben den Gipfel aus ziemlich durchsichtigen Gründen in Geiselhaft genommen. Der provozierte Eklat dient den selbst ernannten Freiheitskämpfern nämlich als Signal nach innen. In Polen wird schließlich im Herbst gewählt. Und Orban will auch die Fördermilliarden freipressen, die Brüssel wegen eklatanter Rechtsstaatsverstöße zurückhält, weil er das Geld zur Finanzierung seiner Wahlversprechen braucht.
Kaum Aufmerksamkeit für andere Beschlüsse
Dass EU-Erklärungen zum Machtkampf in Moskau, zur Ukraine-Hilfe oder zur China-Politik, die - Achtung - auf diesem Gipfel einstimmig beschlossen worden sind, in der öffentlichen Wahrnehmung vom Radarschirm verschwinden, weil alles nur noch über den Asylstreit redet, der die EU insgesamt schwächt: Das wird da nicht nur billigend in Kauf genommen, sondern ist Teil der Strategie.
Gegen "die in Brüssel", die Europa ihre links-grün-woken Umsiedlungsphantasien aufzwingen wollen und damit die Sicherheit der ungarischen und polnischen Gesellschaften gefährden, lässt sich zu Hause schließlich gut Stimmung machen. Auch wenn die Asylreform nach Lage der Dinge kaum noch aufzuhalten ist.
Alles also halb so wild? Leider nein. Plumpe Erpressungsversuche gehören in der EU nämlich inzwischen zum Alltag. Ob es um Russland-Sanktionen geht, um Rüstungshilfe für die Ukraine oder, so wie jetzt, um die Migrationspolitik. Wer Mehrheitsentscheidungen und demokratische Spielregeln nur noch dann akzeptieren will, wenn sie ihm in den Kram passen, stellt das Grundprinzip des europäischen Clubs infrage. Die großen Krisen, vor denen die Welt aktuell steht, löst man so aber nicht.