Hamas-Angriff auf Israel EU streitet über Hilfszahlungen für Palästinenser
Die EU ist der größte Geldgeber für die Palästinenser. Nach dem Hamas-Angriff auf Israel entbrennt ein Streit, ob die Finanzhilfen eingefroren werden sollen. Auch Deutschlands Ankündigung, die Mittel vorerst auszusetzen, sorgt für Kritik.
EU-Ratspräsident Charles Michel hat die deutsche Entscheidung, die Finanzhilfen für die Zusammenarbeit mit den palästinensischen Gebieten vorübergehend auszusetzen, scharf kritisiert. Der Belgier warnte, ein Stopp von dringend benötigter Entwicklungshilfe und humanitärer Hilfe für palästinensische Zivilisten könnte von der Hamas ausgenutzt werden und Spannungen und Hass verschärfen.
Streit über Einfrieren von EU-Hilfen
Schwere Spannungen gab es wegen des gleichen Themas auch innerhalb der EU-Kommission. Die Behörde relativierte am Abend ihre Ankündigungen zum Einfrieren von Entwicklungshilfezahlungen. Demnach werden nicht, wie zuvor von dem zuständigen EU-Kommissar Oliver Varhelyi angekündigt, alle Zahlungen sofort ausgesetzt. Am Abend hieß es aus Kommissionskreisen, es sei tatsächlich vereinbart worden, bis zum Abschluss einer Überprüfung der Hilfen keine Gelder auszuzahlen. Es sei aber auch richtig, dass derzeit keine Zahlungen anstünden.
Der Ungar Varhelyi hatte die Entscheidung demnach eigenmächtig und voreilig kommuniziert. Ursprünglich soll vorgesehen gewesen sein, zunächst die Mitgliedstaaten zu informieren, damit das Thema dann auch bei dem für heute geplanten Sondertreffen der Außenminister mit dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell besprochen werden kann.
Borrell: Zahlungsaussetzung würde Terroristen ermutigen
Borrell, der auch Mitglied der EU-Kommission ist, hatte nach der nicht abgesprochenen Mitteilung Varhelyis auf eine Klarstellung gedrungen. Im Anschluss schrieb er, die Aussetzung von Zahlungen wäre aus seiner Sicht einer Bestrafung des gesamten palästinensischen Volkes gleichgekommen und hätte den EU-Interessen in der Region geschadet. Zudem wären die Terroristen nur noch mehr ermutigt worden.
Gegen eine Aussetzung von Zahlungen spricht aus Sicht von Borrell auch eine erste Analyse, nach der bereits jetzt sehr klar sei, dass die EU weder direkt noch indirekt die Aktivitäten der Hamas oder anderer Terrororganisationen finanziert. Aus dem Umfeld Borrells hieß es in der Nacht, die Meinung des EU-Außenbeauftragten zur Aussetzung von Zahlungen werde von einer "signifikanten Anzahl an EU-Mitgliedstaaten und internationalen Partnern" geteilt.
EU-Gelder für Gesundheitssektor und wirtschaftliche Entwicklung
Relevant sind die Diskussionen, weil die EU und ihre Mitgliedstaaten nach Angaben von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit einem Beitrag von etwa 600 Millionen Euro pro Jahr der größte Geldgeber der Palästinenser sind. Allein aus dem EU-Haushalt waren für den Zeitraum 2021 bis 2024 Finanzhilfen von 1,18 Milliarden Euro vorgesehen.
Mit der EU-Hilfe für die Palästinenser werden nach Kommissionsangaben bislang vor allem die Finanzierung wichtiger Unterstützungsleistungen für die palästinensische Bevölkerung sowie die der Autonomiebehörde gefördert. Als konkrete Beispiele nennt die Behörde den Gesundheitssektor, Sozialhilfeleistungen für arme Familien sowie Entwicklungsprojekte in Bereichen wie demokratische Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit, Wasser, Energie und wirtschaftliche Entwicklung. Zudem wird auch das Hilfswerk der Vereinten Nationen für palästinensische Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) unterstützt.
BMZ prüft deutsche Entwicklungshilfen
Wie es mit den Hilfen langfristig weitergeht, wird vermutlich frühestens nach der Überprüfung der EU-Kommission entschieden. Dass alle Zahlungen eingestellt werden, gilt dabei als äußerst unwahrscheinlich. Die am Montag erfolgten Ankündigungen zum Einfrieren von Zahlungen seien vor allem auch als politisches Unterstützungssignal an Israel zu interpretieren, sagte eine ranghohe EU-Diplomatin. Es sei aus ihrer Sicht auch nicht damit zu rechnen, dass Deutschland die Zusammenarbeit mit den palästinensischen Gebieten am Ende vollständig stoppe.
Das deutsche Entwicklungsministerium (BMZ) hatte am Montag angekündigt, die Finanzhilfen für die Zusammenarbeit mit den palästinensischen Gebieten "vorübergehend" auszusetzen. Die Programme würden nun umfassend und mit offenem Ausgang überprüft, sagte eine Sprecherin des Ministeriums.
Das BMZ hatte nach eigenen Angaben ursprünglich für dieses und nächstes Jahr rund 125 Millionen Euro an bilateraler Entwicklungszusammenarbeit grundsätzlich zugesagt. Dabei geht es um längerfristige Programme. Eine Sprecherin nannte Wasserversorgung und -entsorgung, eine Entsalzungsanlage, berufliche Bildung, die Schaffung von Arbeitsplätzen für junge Leute und Ernährungssicherung als Beispiele.