Flüchtlinge zwischen Belarus und Polen "Extrem unmenschliche Umstände"
An der polnischen Grenze zu Belarus campierten etwa 30 Flüchtlinge unter menschenunwürdigen Bedingungen, kritisieren die UN. Die polnische Regierung lasse nicht einmal Helfer in die Nähe der Migranten.
Mustag Achmadi möge sich erheben, ruft eine polnische Rechtsanwältin hinüber zu der Gruppe von Migranten, die dort seit Tagen campiert, eingekeilt zwischen polnischen Grenzschützern auf der einen und belarusischen Uniformierten auf der anderen Seite. Sie habe die Vollmacht, für ihn einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, erklärt sie weiter. Der Mann aus der Gruppe bestätigt das.
Diese Szene in Anwesenheit polnischer Grenzer ist jetzt drei Wochen her - ohne dass die polnischen Behörden geprüft hätten, ob Achmadi und die anderen aus dem Camp, die unüberhörbar darum baten, schutzbedürftig sind. Ein Bruch internationalen wie polnischen Rechts, bemängeln etwa UN-Vertreter. Man schütze die polnische und damit die EU-Außengrenze vor illegalen Einwanderern, heißt es hingegen aus Warschau. Überdies campierten die etwa 30 Menschen auf belarusischem Gebiet.
Lukaschenko präsentiert sich als Menschenfreund
Er könne das nicht überprüfen, sagt Rafal Kostrzynski vom polnischen Ableger des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR. Relevant sei es aber nicht. "Ob sie auf der belarusischen Seite oder der polnischen sind, ist ohne Bedeutung angesichts dessen, dass sie sich an der polnischen Grenze befinden, nach Polen wollen und deutlich den Willen bekunden, Flüchtlingsstatus zu erlangen. Es ist auch so, dass sie seit vier Wochen in extrem unmenschlichen Umständen festgehalten werden", sagt Kostrzynski.
Die Temperaturen im Lager liegen einige Grad über null, es fehlt Zugang zu sanitären Anlagen, fließendem Wasser und warmen Orten. Dass überhaupt etwas bekannt ist über die Menschen, etwa, dass sie aus Afghanistan kommen sollen, verdankt der UNHCR einer kurzen Besuchsmöglichkeit von belarusischer Seite aus - und der Arbeit von Hilfsorganisationen, die etwa auch die Anwältin an die Grenze brachten.
Die Führung in Minsk ließ zwischenzeitlich das Rote Kreuz mit Hilfslieferungen zu den Migranten: Im Staatsfernsehen präsentiert sich das Lukaschenko-Regime als Menschenfreund. Anders als Polen helfe man, obwohl das Camp nach dieser Lesart bereits auf polnischem Boden liegt.
Journalisten dürfen nicht mehr an die Grenze
Laut dem polnischem Regierungschef Mateusz Morawiecki hat Belarus die Menschen dagegen überhaupt erst Richtung Grenze getrieben - aus Rache für Sanktionen. "Die Menschen werden von Lukaschenko für seine Außenpolitik instrumentalisiert. Das ist der Versuch, eine große europäische Migrationskrise auszulösen", sagt Morawiecki.
Nur hat er sich die falsche Grenze ausgesucht, denn die polnische Grenze wird gut geschützt - in beide Richtungen: Mehrfach versuchten polnische Ärzte, zu den Geflüchteten vorgelassen zu werden - vergeblich. Und dass nicht einmal UN-Vertreter Zutritt erhielten, ist auch im internationalen Vergleich ungewöhnlich.
"Die Situation ist vollkommen irregulär und vorschriftswidrig, leider", sagt Kostrzynski. "Und mit Beunruhigung beobachten wir, dass mit den Regeln des Ausnahmezustands der Zugang noch weiter erschwert und verunmöglicht wird. Wir bemühen uns, wenigstens für uns und einige andere Organisationen Zutritt zu erlangen."
Journalisten etwa dürfen sich nun wegen des Ausnahmezustands nur noch auf drei Kilometer der Grenze nähern. Gegen ein Team, das trotzdem von dort berichtete, ist nun ein Verfahren eingeleitet worden.
"Was ich gesehen habe, übertraf meine schlimmsten Befürchtungen"
Als der Zugang ins Grenzgebiet noch möglich war, will sich der Oppositionspolitiker Francisek Sterczewski dort acht Tage aufgehalten haben. Ihm zufolge kam es zu illegalen "Pushbacks", also dem Zurückdrängen bereits nach Polen gelangter Migranten Richtung Belarus. "Was ich gesehen habe, übertraf meine schlimmsten Befürchtungen. Es ist beschämend für unseren Staat, dass wir nicht in der Lage sind, 32 Menschen Hilfe zu leisten", sagt Sterczewski.
Zuerst wurden diese Leute hinter Fahrzeugen und Zeltwänden abgeschirmt; Motorenlärm sollte sie übertönen, die Kommunikation wurde erschwert. Es geht der Regierung darum, die Menschen zu anonymisieren, ihre Gesichter zu verbergen, um zu sagen, das sind keine Menschen, die unsere Hilfe verdienen. Aber das sind echte Menschen mit wahren Geschichten.
Darunter sei auch eine schwerkranke 53-jährige Frau, die mit Kindern und Katze vor den Taliban geflüchtet sei, so der Parlamentarier.
Politisch scheint der Konflikt, gemessen an letzten Umfragewerten, der Regierung aber eher zu nützen. So hat die liberale Bürgerplattform, die sich zuletzt noch nicht klar zur Abstimmung über den Ausnahmezustand positioniert hatte, in Umfragen zuletzt leicht eingebüßt. Das Lager der regierenden PiS-Partei und eine noch weiter rechts stehende Gruppierung hatten hingegen an Zustimmung gewonnen.