Streit mit EU um Justizreform Polen soll eine Million Euro zahlen - jeden Tag
Hält sich Polen nicht an EU-Recht, muss es jeden Tag eine Million Euro Strafe zahlen, urteilte der EuGH im Streit um die Justizreform. Polen sieht sich erpresst. Und die EU hat noch ein weiteres Druckmittel: die Gelder aus dem Corona-Hilfsfonds.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) erhöht den Druck auf Polen im Streit um die Justizreform des Landes. Er verurteilte Polen zu einem Zwangsgeld von einer Million Euro für jeden Tag, an dem die vom obersten europäischen Gericht gefällten Urteile weiterhin nicht umgesetzt werden.
Diesmal geht es um die umstrittene Disziplinarkammer, die die rechtskonservative Regierungspartei PiS 2018 eingesetzt hat. Die Kammer ist ein Herzstück der polnischen Justizreform. Sie kann Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte suspendieren, ihnen das Gehalt kürzen, ihre Immunität aufheben - und sie vor allem jederzeit entlassen. Kritiker befürchten, sie könne dazu dienen, Richter für unliebsame Entscheidungen zu maßregeln.
EU sieht Unabhängigkeit der Justiz gefährdet
Nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs verstößt die Kammer gegen EU-Recht. Sie sei mit grundlegenden Prinzipien der Rechtstaatlichkeit nicht vereinbar. Nach EU-Recht muss jeder EU-Mitgliedsstaat gewährleisten, dass die Justiz unabhängig und überparteilich arbeiten kann. Dies, so die EU-Richter, sei mit der Disziplinarkammer nicht mehr sichergestellt. Denn deren Mitglieder werden vom Landesjustizrat ausgewählt - und dieser sei ein Organ, das "von der polnischen Exekutive und Legislative wesentlich umgebildet wurde", so der EuGH. An seiner Unabhängigkeit gebe es berechtigte Zweifel.
Im Juli hatte der Europäische Gerichtshof deshalb angeordnet, dass die Kammer ihre Arbeit einstellen muss. Zunächst schien es, als würde Polen einlenken. Anfang August kündigte der Vorsitzende PiS, Jaroslaw Kaczynski, an, die Disziplinarkammer in ihrer bestehenden Form abschaffen zu wollen.
Das Gremium werde vorerst keine Fälle mehr bearbeiten und im September wolle Polen der EU-Kommission seine Vorschläge vorlegen, wie die Arbeit der Kammer geändert werden solle, damit sie mit EU-Recht vereinbar sei.
Doch die Arbeit der Disziplinarkammer ging weiter - und Anfang Oktober erreichte der Streit zwischen Polen und EU eine neue Stufe. Zuvor hatte das polnische Verfassungsgericht entschieden, dass EU-Recht teilweise nicht mit der Verfassung des eigenen Landes vereinbar sei. In diesen Fällen stehe das nationale Recht über dem der EU. Was bedeutet, dass auch Urteile des EuGH nicht über der polnischen Rechtsprechung stehen.
Polen sieht sich "erpresst"
In einer ersten Stellungnahme zu der jetzigen Entscheidung des EuGH machte die polnische Regierung deutlich, dass sie offenbar nicht gewillt ist, das neu verhängte Zwangsgeld zu zahlen. Auf Twitter erklärte der stellvertretende Justizminister Sebastian Kaleta, der EuGH verachte und ignoriere die polnische Verfassung und die Urteile des Verfassungsgerichts. Kaleta sprach von "Erpressung".
Der Fraktionschef der nationalkonservativen Regierungspartei PiS, Ryszard Terlecki, sagte auf die Frage, ob Polen nun täglich zahlen werde: "Wir haben noch nichts gezahlt, also keine Panik."
Die EU mahnt, warnt und kritisiert Polen bereits seit Jahren wegen seiner Justizreform. Das jetzt verhängte Zwangsgeld sei erforderlich, um einen "schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden" von der Rechtsordnung der EU und ihrer Werte abzuwenden, heißt es in der Mitteilung des Luxemburger Gerichts. Es folgt damit einer Forderung der EU-Kommission in Brüssel, die das Zwangsgeld beantragt hatte.
Zustimmung zum Urteil kam aus den Reihen der EU-Parlamentarier. Grünen-Europapolitikerin Franziska Brantner sagte der Nachrichtenagentur Reuters: "Dies zeigt, dass es Konsequenzen gibt, wenn jemand die Rechtsstaatlichkeit untergräbt." Das Urteil sei ein "Stoppschild für diejenigen, die die Axt an die Demokratie in Europa legen".
EU könnte Geld aus Corona-Fonds zurückhalten
Brantner forderte die EU-Kommission auf, nun ihrerseits Polen erst dann Geld aus dem Corona-Wiederaufbau-Fonds zu zahlen, wenn das EU-Land die Unabhängigkeit der Justiz und den Vorrang des europäischen Rechts zusichert. Dabei geht es um 36 Milliarden Euro. Auch der FDP-Abgeordnete Moritz Körner nannte das Urteil "begrüßenswert". Er mahnte ebenfalls an, die EU-Corona-Hilfen für Polen vorerst zurückzuhalten.
Die Umbildung der Justiz ist auch in Polen selbst sehr umstritten. Gegen das Urteil des polnischen Verfassungsgerichts gingen Mitte Oktober Zehntausende Menschen in Warschau, Danzig, Posen und zahlreichen weiteren Städten auf die Straßen. Sie demonstrierten für den Verbleib ihres Landes in der EU. Laut einer aktuellen Umfrage sehen gut 88 Prozent der Polen die Mitgliedschaft ihres Landes in der EU positiv, nur gut neun Prozent bewerten sie negativ.
Mit Informationen von Klaus Hempel, ARD-Rechtsredaktion