Kaczynskis Einfluss Warum Polen keine Patriotsysteme will
Erst hieß es "ja", dann "nein": In Polen ist sich die Regierung uneins, ob sie das von Deutschland angebotene Patriot-Flugabwehrsystem annehmen möchte - oder ob es in die Ukraine soll. Die Volte trägt Kaczynskis Handschrift.
Viele Politikexperten haben mit großer Verwunderung die polnischen Reaktionen auf die von Deutschland angebotenen Flugabwehrsysteme Patriot verfolgt. "Es schien wirklich so, als könnte man diese Chance nicht ungenutzt lassen", schrieb Piotr Buras vom "European Council on Foreign Relations" auf Twitter. "Aber unsere Regierenden haben einen Weg gefunden".
Und Buras war nicht der einzige, der verwundert beobachtete, wie der polnische Verteidigungsminister Mariusz Blasczak erst mitteilte, man werde das Angebot, deutsche Patriot-Flugabwehrraketen in Polen zu stationieren, mit Freude annehmen - nur um kurz danach eine 180-Grad-Wende zu vollziehen. Deutschland solle die Raketen doch lieber der Ukraine anbieten.
Zwischen Zu- und Absage lag ein Interview
Unter militärischen Gesichtspunkten sei es für den Schutz des polnischen Territoriums am besten, diese Raketen in gewissem Abstand zur Grenze auf ukrainischem Gebiet zu stationieren, erklärte der polnische Präsident Andrzej Duda. "Dann würden sie am effektivsten sowohl die Ukraine als auch Polen schützen."
Zwischen Zu- und Absage lag ein Interview mit Jaroslaw Kaczynski, dem Vorsitzenden der Regierungspartei PiS. Kaczynski hatte erklärt, vielleicht solle man die Raketen lieber an die Ukraine liefern. Danach änderte sich auch die Haltung vom Außenminister, dem Premierminister und dem Präsidenten Duda.
Der Chef von Dudas Präsidialkanzlei, Pawel Szrot, sagte allerdings: "Für den Präsidenten als Hüter der Sicherheit Polens und seiner Bürger ist diese Sicherheit der Polen und des polnischen Territoriums das Wichtigste." Selbstverständlich unterstütze der Präsident die Ukraine und die Lieferung von militärischen Gütern dorthin, "aber ich wiederhole, der Präsident ist Präsident Polens."
Wurde Duda schlicht nicht gefragt?
Das lässt sich so interpretieren, als hätte Duda das deutsche Patriotsystem doch ganz gerne in Polen gesehen, sei aber schlicht nicht gefragt worden. Zumal der Präsident später per Twitter erklärte: Würden die Deutschen dem Ukrainevorschlag nicht zustimmen, sollte man die Patriot-Raketen doch nach Polen bringen.
Die Opposition jedenfalls kann es nicht fassen. Die politische Volte trage zu deutlich die Handschrift von Jaroslaw Kaczynski - dem "Überpräsident", dem "Überpremier", wie ihn Gregorz Schetyna, der ehemalige Vorsitzende der größten Oppositionspartei PO, nennt. "Kaczynski erklärt Deutschland zu einer bösen Macht und jetzt erfahren wir, dass wir die Patriotraketen nicht annehmen, die für unsere Sicherheit unentbehrlich sind, denn sie kommen aus Deutschland".
"Gazeta Wyborcza": "Verrat oder Dummheit?"
Ein Versehen, ein diplomatischer Fehltritt jedenfalls sei das nicht gewesen, da sind sich auch die Kommentatoren der polnischen Zeitungen einig. "Verrat oder Dummheit?", fragt die linksliberale "Gazeta Wyborcza". Aber auch die deutlich konservativere Rzeczpospolita kommentiert, Warschau wisse ganz genau, dass mit den deutschen Patriots auch Bundeswehrsoldaten kommen. Die in die Ukraine zu schicken, wäre eine direkte Kriegsbeteiligung von NATO-Truppen, das werde also nicht passieren. Die PiS habe eine rote Linie überschritten, sie opfere die polnische Sicherheit zu Gunsten des eigenen Wahlkampfs.
Der PiS näher stehende Medien finden - wenig überraschend - einen anderen Schuldigen. "Wpolityce" fragt: "War das deutsche Angebot überhaupt ernst gemeint?" Würde man Polen wirklich unterstützen wollen, heißt es da, könnte Berlin ja die gesperrten EU-Gelder freigeben.
Die werden aber von der EU-Kommission zurückgehalten. Zwar nicht wegen des Krieges, sondern wegen der Eingriffe der polnischen Regierung in die Unabhängigkeit der Gerichte.