Protassewitschs Eltern "Sie zwingen ihn zu sagen, was sie brauchen"
Die Eltern des inhaftierten Bloggers Protassewitsch sind überzeugt, dass das jüngste Video mit ihrem Sohn unter Zwang entstand. Im Gespräch mit der ARD betont sein Vater, er sei stolz - und sagt, was er von den Sanktionen gegen Belarus hält.
ARD: Herr Protassewitsch, was denken Sie über das Interview mit Ihrem Sohn, das der belarusische Staatsender ONT veröffentlicht hat?
Dmitri Protassewitsch: Es ist eine schreckliche Situation. Bis zum heutigen Tag darf kein Anwalt zu meinem Sohn. Sie haben ihn noch an keinem Tag zu ihm durchgelassen - dann wird mit meinem Sohn ein Propagandavideo gedreht und das wird dann im Staatsfernsehen gezeigt. Jeder versteht doch sofort, dass dies alles unter Druck entstanden ist. Ständig wird auf Roman psychologischer und physischer Druck ausgeübt. Wenn sie das Video unter freien Bedingungen aufgezeichnet hätten und er in ein Studio eingeladen worden wäre, dann wäre das ein journalistisches Interview gewesen. Doch man muss sich darüber im Klaren sein, dass sich Roman hinter den Gittern des KGB befindet.
Ich verstehe, unter welchem Druck sich im Moment mein Sohn befindet und ich bin sehr stolz auf ihn! Ich weiß nicht, wie ich mich in so einer Situation verhalten würde. Er ist ein starker, freundlicher Junge, sehr intelligent und gut gebildet. Und alles, was er da vor der Kamera sagt, ist nicht ernst zu nehmen. Wie soll man den Worten eines Menschen glauben, der unter Druck ist und total verängstigt?
Dmitri Protassewitsch im Interview mit ARD-Korrespondent Olaf Bock.
"Man sieht, welche inneren Qualen er leidet"
ARD: Welchen Eindruck macht Ihr Sohn in dem Video auf Sie?
Protassewitsch: Auf dem Video ist klar zu sehen, dass es ihm sehr schwerfällt zu reden. Man sieht schon an seinem Gesicht, welche inneren Qualen er erleidet. Das alles passiert unserem Sohn - einem ehrlichen jungen Mann ... und sie zwingen ihn dazu, das zu sagen, was sie brauchen. Es fällt mir selbst sehr schwer, darüber zu reden. Lieber hätten sie mich an seiner Stelle bestraft. Da mache ich mir als Vater sehr große Sorgen um meinen Sohn. Meine Frau kann gerade nicht darüber sprechen, die Belastung ist einfach zu groß.
Es ist klar, dass das Video gedreht wurde, um zu zeigen: Seht her, die Opposition ist schuld, die leben alle von finanzieller Unterstützung. Eben genau das, was [Anhänger Lukaschenkos, Anmerkung der Redaktion] hören wollen. Menschen, die sich von der Realität entfernt haben, die kein Recht und Gesetz kennen außer dem Gesetz von Druck und Gewalt. Jetzt nennen sie meinen Sohn einen Extremisten und versuchen, Beweise dafür zu konstruieren: 'Was können wir ihm alles noch antun, wo er schon am Boden liegt?'
ARD: Glauben Sie, dass er während der Haft misshandelt wurde?
Protassewitsch: Auf seinem Gesicht sind keine Spuren zu sehen, aber schauen Sie aufmerksam auf seine Hände, wenn er sie vor das Gesicht bringt, um zu weinen. Da sind überall Hämatome zu sehen von den Handschellen. Die waren wohl zu eng zusammengezogen. Es macht mir Angst, mir vorzustellen, unter welchen Umständen er sich da befindet. Da kann alles Mögliche mit ihm passiert sein.
Der Anwalt kann ihm nicht helfen - er kann nicht mal kommen, um mit ihm zu sprechen, ihn zu beruhigen und zu fragen: "Wie geht es Dir?" oder "Wem soll ich was von Dir ausrichten?" Das ist doch normale Anwaltsarbeit. Doch in seinem Fall ist das alles nicht möglich.
"Jetzt zeigt sich das wahre Gesicht"
ARD: Wie denken Sie über die Sanktionen, die viele Staaten jüngst gegen Belarus beschlossen haben?
Protassewitsch: Mir scheint, dass gerade viele Länder der Welt endlich mitbekommen, was in unserem Land passiert und was für Machthaber das Land regieren. Viele in Europa haben das nicht geglaubt und gesagt: 'Das sind doch innere Angelegenheiten.' Ich glaube, dass Sanktionen einen spürbaren Druck aufbauen, vor allem für die Menschen, die dieses Regime unterstützen. Das sind nicht nur Regierungsvertreter, sondern auch Geschäftsleute, die zum Beispiel mit dem Verkauf von Grundstücken in Minsk Millionen von Dollar verdienen und sich vor nichts schämen.
Früher gab es diese angeblich in alle Richtungen gerichtete Regierungspolitik und auch die Politik der nachbarschaftlichen Beziehungen mit der EU. Jetzt zeigt sich da das wahre Gesicht. Die [europäischen Staaten, Anmerkung der Redaktion] machen Druck auf das Regime. Sie werden wohl nicht zum entscheidenden Faktor werden, der den Bürger Lukaschenko dazu bringt, sein Handeln in Bezug auf die Beziehungen und sein Volk zu überdenken. Aber es ist glattes Eis - und wenn man die ökonomischen Folgen betrachtet, zeigen sie schon Wirkung.
ARD: Worauf hoffen Sie?
Protassewitsch: Wenn sie das alles gegeneinander abwägen, merken sie vielleicht, dass es besser ist, in einen Dialog einzutreten, Roman, seine Freundin Sofia und die anderen politischen Gefangenen freizulassen.
Ich bin kein Politiker, sondern ein einfacher Mensch. Ich möchte ausdrücklich allen danken, die sich in dieser Situation für uns einsetzen, auf der Seite des Volkes stehen, und der Entwicklung in Belarus genau nachgehen. Das wichtigste und höchste Gut ist doch das menschliche Leben! Manche sind noch auf der Seite des Staates, aber andere verstehen ganz genau, dass man so nicht weiterleben kann.
ARD: Was würden Sie Ihrem Sohn Roman sagen, wenn Sie mit ihm sprechen könnten?
Protassewitsch: Wir sind stolz auf ihn als Sohn. Und wie man immer sagt: Die Kinder sollen es besser haben als wir. Sie wollen in einem freien und friedlichen Land leben, wo freie Meinungsäußerung gilt und Du Deine Meinung ruhig sagen kannst über das, was Dir nicht gefällt und Dir niemand wegen irgendwelcher Kleinigkeiten Vorwürfe macht. Wenn er mich hört, soll er wissen: Wir sind bei Dir und wir lieben Dich sehr.
Das Gespräch führte Olaf Bock, ARD-Studio Warschau.