Serbien und der Ukraine-Krieg Ein Land im Zwiespalt
Russlands Krieg gegen die Ukraine spaltet die Meinung der Serben. Viele halten zum Kreml - allein aus Protest gegen die NATO. Serbiens Präsident ist zwiegespalten - auch, weil er von Russlands Gas abhängig ist.
Sie sind vor die russische Botschaft in Belgrad gezogen und rufen: "Putin, Putin. Serbien und Russland, Brüder für immer." Es sind schätzungsweise etwas mehr als 2000 Demonstranten, organisiert und angestachelt von serbischen Rechtsextremisten. Sie schwenken serbische und russische Fahnen, halten Bilder des russischen Präsidenten Wladimir Putin hoch und rufen auch NATO-feindliche Parolen. Die Russen seien Serbiens Brüder, sie würden die Ukraine von Neonazis befreien, beten die Demonstranten die Parolen des Kremls nach.
Serbiens Boulevardpresse, eher der Typ "Revolverblätter", titeln ähnlich - während in vielen anderen europäischen Städten die Menschen gegen den Angreifer Russland und für die Ukraine auf die Straße gehen.
Schlingerkurs des serbischen Präsidenten
Serbiens Präsident Aleksandar Vucic verhält sich zwiespältig. Er will Anfang April wiedergewählt werden, auch von denen, die da vor der russischen Botschaft aufmarschieren. Aber auch von den Serben, die anders denken als die Rechtsextremisten. Serbien ist EU-Beitrittskandidat, hält aber auch historisch enge Beziehungen zu Russland und ist zudem abhängig von russischem Gas und Öl.
Vucic brauchte daher lange bis er am vergangenen Samstag offiziell etwas zum russischen Angriff auf die Ukraine sagte. Russlands Präsidenten Putin erwähnte er dabei überhaupt nicht, auch für eine unmissverständliche Verurteilung Russlands reichte es nicht. Vucic formulierte "volle Unterstützung für die territoriale Integrität der Ukraine", an Sanktionen gegen Russland werde sich Serbien aber nicht beteiligen.
Serbien für Resolution gegen Russland
Weil im Text der UN-Resolution gegen den russischen Einmarsch in der Ukraine Sanktionen nicht erwähnt werden, stimmte Serbien am Mittwoch aber dafür. Im Club der dann nur noch vier Verteidiger Russlands wollte man dann doch nicht sein.
Denjenigen in Serbien, die sich für eine härtere Gangart gegenüber Russland einsetzen, gibt Präsident Vucic mit Blick auf die Serbien-Wahl Anfang April mit: "Ich bin nur noch wenige Tage Präsident, in einem Monat sind Wahlen. Dann stimmt doch für diejenigen, die sofort Sanktionen gegen Russland einführen möchten. Ich spreche jetzt gar nicht über Moral, Freundschaft, Traditionen. Nur frage ich Sie, wie wollen sie dem Volk dann erklären, dass Russland dann drei Tage später sagt - wir unterstützen die territoriale Integrität Serbiens im UNO-Sicherheitsrat nicht?"
Protestler fordern Mitgefühl mit der Ukraine
Aber es gibt auch die anderen, in Serbien, so wie die Menschen in Belgrad, die sich vor ein paar Tagen ebenfalls vor der russischen Botschaft versammeln. Rund 50 Aktivistinnen und Aktivisten der Vereinigung "Frauen in Schwarz" protestieren, allerdings etwas alleingelassen, gegen den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Eine der wenigen Kundgebungen dieser Art in Serbien.
Eine der Aktivistinnen kritisiert, Serbien habe sich offen an die Seite Russlands gestellt: "Ich denke, die serbische Gesellschaft braucht mehr Empathie und sollte sich mit den Opfern solidarisch erklären, und nicht mit den Aggressoren sympathisieren."
Ex-Botschafter: "Serbien gibt keine gute Figur ab"
Ivo Viskovic war mal serbischer Botschafter in Berlin und lebt als emeritierter Professor der Politikwissenschaften wieder in Belgrad. Dem ARD-Studio Südosteuropa in Wien sagt er, dass Serbien gerade keine gute Figur abgebe: "Ich denke, das ist ein nicht gerade ruhmreicher - oder um es offen zu sagen, ein schändlicher Moment in unserer Geschichte. Denn weder das ukrainische Volk, noch die ukrainische Führung haben Serbien je etwas Schlechtes getan, so Viskovic. Und von unserer Seite wird das leider im Moment mit einer ziemlich großen Gleichgültigkeit den Opfern gegenüber vergolten."
Allerdings erinnert der Ex-Diplomat auch daran, dass vor allem die NATO für viele in Serbien ein rotes Tuch sei, weil das Land im Krieg 1999 von der NATO bombardiert worden war. Unabhängig davon, welche Politik es verfolge, werde Russland als Gegner der NATO von vielen in Serbien unterstützt. Viskovic: "Ein bisschen als Scherz aber auch durchaus ernst nenne ich das eine Art Patho-Russophilie. Oder anders ausgedrückt eine Art krankhafte Liebe Russland gegenüber, die nicht auf fundierten Standpunkten basiert, sondern einzig eine Art Widerstand gegen den Westen ist."
Serben könnten ihre Meinung noch ändern
Viskovic hält es allerdings für vorstellbar, dass sich mit Fortschreiten des Krieges Russlands gegen die Ukraine bei vielen Serben ein Sinneswandel einstellen könnte. Insbesondere nach den Antikriegsprotesten in Russland selbst: "Ich denke, dass einige in Serbien begriffen haben, insbesondere nach den Protesten in Russland selbst, dass es hier um etwas geht, dass noch nicht mal alle Russen rechtfertigen. Und es wäre ja wirklich Nonsens, wenn die Serben größere Russen wären als die Russen selbst."