Macrons Reform erstmals im Parlament Hitzige Debatte über die Rente erwartet
Für Präsident Macron ist sie ein Leuchtturmprojekt - bei der Mehrheit der Franzosen stößt sie auf Ablehnung: Die umstrittene Rentenreform wird heute erstmals im Parlament beraten. Die Regierung nutzt dabei einen Trick.
Ein Haushaltsminister, ein konservativer und ein rechtsextremer Parteichef und eine weit links stehende Abgeordnete debattieren im Fernsehen über die Rentenreform: Man ist sich spinnefeind und redet dem anderen rein. Nicht anders wird es ab heute Nachmittag in der Nationalversammlung laufen. Sie hat die Reform auf dem Tisch und die Forderung von ganz links und ganz rechts nach einer Volksabstimmung.
"Wir sind die erste Oppositionsgruppe. Da ist es natürlich unsere Aufgabe, die Schlacht in der Nationalversammlung anzuführen", sagt Marine Le Pen vom rechtsextremen Rassemblement National: "Deswegen haben wir einen Antrag auf Referendum gestellt. Die Möglichkeit für die Rentenreform hat Emmanuel Macron selbst nicht ausgeschlossen. Aber er wechselt ja seine Meinung wie seine Hemden!"
"Eine kollektive Anstrengung"
Ein Referendum? Mit jedem neuen Detail über die Reform scheint die Bevölkerung der Reform ablehnender gegenüberzustehen. Zuletzt waren es mehr als zwei Drittel der Franzosen und Französinnen. Da half auch der letzte Appell von Regierungschefin Elisabeth Borne gleich nach den 20-Uhr-TV-Nachrichten nicht: "Eine Rentenreform ist eine kollektive Anstrengung, die wir den Franzosen abverlangen", sagte sie. "Ich höre die Sorgen, aber ich muss ihnen auch die Wahrheit sagen: Machen wir die Reform nicht, hält unser Rentensystem, die Solidarität zwischen den Generationen als Kern unseres Sozialmodells, nicht stand."
Borne hatte ihre Reform als gerecht, ausgeglichen und fortschrittlich verkaufen wollen. Doch plötzlich kam heraus, dass Menschen mit langem Berufsleben nicht maximal 43 Beitragsjahre, sondern sogar 44 leisten müssten. Die konservativen Les Républicains, auf deren Stimmen das Regierungslager angewiesen ist, goutierten das wenig. Parteichef Ciotti: "In der Debatte um lange Berufskarrieren ist unsere klare Forderung, dass jene, die schon zwischen 16 und 21 Jahren begonnen haben zu arbeiten, diese Reform nicht besonders hart spüren dürfen. Wer am längsten arbeitet, soll am längsten einzahlen? Das wäre ungerecht."
43 Beitragsjahre maximal
Hier ruderte das Regierungslager zurück. 43 Beitragsjahre maximal - das neue Mantra. Doch was ist mit den Frauen, die angeblich von mehr Mindestrente und besserer Anrechnung der Erziehungszeiten profitieren sollten? Nun rechnet die Rentenversicherung selbst vor: Frauen, die 1972 geboren wurden, arbeiten nach der Reform neun Monate länger, Männer desselben Jahrgangs nur fünf Monate länger.
So protestierten jüngst gerade auch Frauen, wie die junge Lehrerin Juliette: "Es gibt schon so viel Lohnungerechtigkeit für die Frauen in Frankreich, wenn wir jetzt noch Ungerechtigkeiten bei der Rente kassieren, dann bin ich außer mir und sehr wütend und deshalb demonstriere ich."
Auch viele Senioren in Sorge
Auch viele Senioren fürchten die Reform. Denn oft bietet der Arbeitsmarkt ihnen gar nicht die Chance, länger zu arbeiten. Das bestätigt Monika Queisser, die bei der OECD in Paris die Abteilung Sozialpolitik leitet. Das Alter, in dem Menschen langfristig den Arbeitsmarkt verlassen, liege in Frankreich niedrig, bei etwas mehr als 60 Jahren. Und spiegelbildlich sehe man eben auch, dass die Arbeitsmarktbeteiligung älterer Arbeitnehmer relativ niedrig ist, sagt Queisser. "In der Altersgruppe 60 bis 64 haben wir nur noch 33 Prozent Arbeitsmarktbeteiligung in Frankreich, während der OECD-Durchschnitt - 53 Prozent - höher liegt."
Regierung nutzt einen gesetzgeberischen Trick
Die Regierung will die Reform in ein Nachtragsgesetz zur Sozialversicherung packen. Das ist hoch gepokert, denn nicht all ihre Punkte passen inhaltlich dazu. Doch der gesetzgeberische Trick aktiviert automatisch Artikel 47.1. Der beschränkt die Zeit der Debatte - nicht unwichtig bei 20.000 Änderungsanträgen. So darf der Gesetzesentwurf dann nur 20 Tage in der Nationalversammlung und 15 im Oberhaus, dem Senat, bleiben. Danach können Vertreter beider Kammern schlichten. Aber nach 50 Tagen muss die Reform durch sein, sonst kann die Regierung sie verordnen.
Neue Proteste? Sehr wahrscheinlich
Dann wäre es Ende März, und neue Proteste dürften folgen. Obwohl nur sechs von zehn Franzosen künftig mit 64 in Rente gehen und alle anderen von Ausnahmen profitieren werden. Doch die Reform kommt für viele zur Unzeit. Die Rentenkassen verzeichnen gerade ein Milliardenplus, die Lebensmittel sind übers Jahr 13 Prozent teurer, Strom seit 1. Februar 15 Prozent und die Autobahnmaut rund fünf Prozent teurer - und das kurz vor den Winterferien. Und: Nur jeder Fünfte in Frankreich räumt der Arbeit noch einen sehr wichtigen Platz in seinem Leben ein. Viele sind weniger motiviert als vor der Corona-Pandemie.
Design-Student Arthur protestiert prophylaktisch und spricht vielen aus der Seele: "Meine Rente? Ich will vor allem was von meinem Leben haben. Klingt vielleicht dumm, aber so ist es. Ich möchte nicht mit 64 vollkommen erledigt und krank sein. Und die besten Jahre meines Lebens verpassen."