Inhaftierter Oppositioneller Nawalny-Team bestätigt Tod von Kremlgegner
Auch das Team Nawalnys geht vom Tod des Kremlgegners aus: Seine Mutter habe eine amtliche Mitteilung erhalten, hieß es. Unklar ist, wo sich der Leichnam derzeit befindet. Trotz Festnahmen trauern landesweit weiter Menschen.
Das Team des inhaftierten Kremlgegners Alexej Nawalny hat dessen Tod bestätigt und Mordvorwürfe erhoben. "Nawalny wurde ermordet", schrieb seine Sprecherin Kira Jarmysch bei X. Die Mutter des 47-Jährigen sei in das Straflager im Norden Russlands gereist und habe dort eine amtliche Bestätigung über den Tod ihres Sohnes erhalten.
Der Tod soll demnach am Freitag um 14.17 Uhr Ortszeit (10.17 Uhr MEZ) eingetreten sein. Mitarbeiter des staatlichen Ermittlungskomitees hätten den Leichnam abgeholt, so Jarmysch. Ein Mitarbeiter des Straflagers habe mitgeteilt, dass der Körper für Untersuchungen in die Stadt Salechard gebracht worden sei. Die Stadt liegt rund 50 Kilometer vom Straflager entfernt.
Mutter und Anwalt suchen Leichnam
Dort scheint der Leichnam jedoch derzeit unauffindbar zu sein. Nawalnys Mutter und dessen Anwalt seien nach Salechard gereist, das Leichenschauhaus sei jedoch geschlossen, schrieb Jarmysch. Auch über die am Eingang ausgehängte Kontakt-Telefonnummer sei der Anwalt nicht zu einer zufriedenstellenden Antwort gekommen. "Ihm wurde gesagt, dass er bereits der siebte Anrufer an diesem Tag sei", so die Sprecherin. "Und der Leichnam Alexejs befinde sich nicht bei ihnen im Leichenschauhaus." Sie forderte, Nawalnys Körper unverzüglich den Angehörigen zu übergeben.
Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete ebenfalls, der Körper sei noch nicht im Leichenschauhaus eingetroffen. Das habe ein Mitarbeiter der Einrichtung am Telefon gesagt.
Jarmysch schrieb weiter, die Behörden wollten den Leichnam erst nach Abschluss ihrer Untersuchungen an die Angehörigen übergeben. Einem zweiten Anwalt sei gesagt worden, dass die Todesursache noch nicht bekannt und eine weitere histologische Untersuchung erfolgt sei, deren Ergebnisse in der nächsten Woche erwartet würden. "Es ist offensichtlich, dass sie lügen und alles unternehmen, um den Leichnam nicht zu übergeben", so Jarmysch. Den Anwälten sei lediglich mitgeteilt worden, dass die Untersuchungen "nichts Kriminelles" ergeben hätten. "Die lügen ständig und führen uns im Kreis herum."
Nawalnys Unterstützer warfen den Behörden vor, eine Übergabe des Leichnams zu verhindern, um die Spuren der "Mörder" zu verwischen. "Es ist offensichtlich, dass die Mörder ihre Spuren verwischen wollen und seinen Leichnam deshalb nicht übergeben und sogar vor seiner Mutter verstecken", erklärte das Team im Onlinedienst Telegram.
Landesweit Hunderte Festnahmen
Die Umstände des Todes sind weiter unklar. Russische Behörden hatten am Freitag gemeldet, der Kremlkritiker sei verstorben. Nawalny, der nach vielen Tagen in immer wieder angesetzter Einzelhaft körperlich geschwächt war, sei bei einem Hofgang im Straflager bei eisigen Temperaturen zusammengebrochen. Wiederbelebungsversuche seien erfolglos geblieben, hieß es vom Strafvollzug. Menschenrechtler hingegen werfen dem russischen Machtapparat Mord vor.
Trotz Drucks der Behörden trauern landesweit weiter Menschen öffentlich um den Oppositionellen. Nach Berichten von Menschenrechtlern gab es Hunderte Festnahmen. Das Internetportal ovd.info schrieb, dass mehr als 400 Menschen in 36 Städten festgenommen worden seien, darunter auch in Moskau und St. Petersburg. Das Portal listete zugleich auch die Namen der Festgenommenen auf.
Vielerorts wurden trotz Räumungsaktionen und Festnahmen weiter frische Blumen niedergelegt, Kerzen angezündet und Bilder zur Erinnerung an Nawalny aufgestellt. Auch im Ausland gab es zahlreiche Kundgebungen zum Gedenken an den Kremlgegner, meist vor diplomatischen Vertretungen Russlands.
"Wir groß die Angst vor einem Toten ist"
"Wie groß doch selbst die Angst des Machtapparates vor einem Toten ist, wenn sogar das Ablegen von Blumen zu seinem Andenken als Verbrechen angesehen wird", schrieb der russische Friedensnobelpreisträger und Gründer der kremlkritischen Zeitung Nowaja Gaseta, Dmitri Muratow, im Nachrichtenkanal Telegram.
Nawalny habe als weltweit anerkannter russischer Oppositionsführer die Hoffnung auf eine Zukunft nach der Diktatur verkörpert, schrieb der Experte Alexander Baunow für die Denkfabrik Carnegie. Auch im Straflager sei der Politiker für den Kreml ein Ärgernis geblieben. "Doch zeugt das Streben selbst, eine solche Reizfigur loszuwerden, auch davon, dass das Regime nicht so von sich und seiner Zukunft überzeugt ist, wie es selbst gern erscheinen mag", so Baunow.
"Es gibt absolut keinen Ersatz"
Die Friedensnobelpreisträgerin Irina Scherbakowa bezeichnete den Tod Nawalnys als großen Verlust für die Opposition in dem Land. "Es gibt absolut keinen Ersatz, was Charisma betrifft und Stärke", sagte sie im rbb. Figuren wie er seien ohnehin selten in der Politik. Der Verlust treffe auch die Menschen, die für ein freies Russland ohne Präsident Wladimir Putin kämpfen und dort leben wollten.
Für die Mitgründerin der von den russischen Behörden verbotenen Menschenrechtsorganisation Memorial ist der Tod des Regimekritikers die "stärkste politische Geste, die man machen konnte". Jetzt sei Nawalny ein Sinnbild für einen Menschen, der "für seine Sache auch bereit ist zu sterben".
Dennoch habe er sich nie als Märtyrer inszeniert, sondern vielmehr Witze gemacht. Selbst bei seiner Verhaftung oder im Gericht sei er nicht tragisch aufgetreten, sondern mit Humor. Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine sagte die Historikerin: "Das muss man immer Kopf haben. Wenn man Friedensverhandlungen beschwört, mit wem man das verhandelt: eigentlich mit einem mörderischen Regime."
Russlands Machtapparat geht immer wieder mit Gewalt gegen Kritiker vor. Proteste werden in dem Land schon seit Jahren nicht erlaubt.