Gipfeltreffen in Armenien Alleingelassen von Putin
Das von Russland geführte Verteidigungsbündnis OVKS tagt in Armenien, Putin kommt zu Besuch. Doch er wird eher zähneknirschend empfangen - Armenien fühlt sich vom Bündnis im Konflikt mit Aserbaidschan alleingelassen.
Ginge es nach dem Willen vieler Menschen in Armenien, dann fände der Gipfel des von Russland geführten Verteidigungsbündnisses OVKS nicht in der armenischen Hauptstadt Jerewan statt. Auch Russlands Präsident Wladimir Putin wird nicht mit überschwänglicher Freude, sondern eher zähneknirschend empfangen. Zu sehr fühlt man sich in der kleinen Südkaukasusrepublik zwischen der Türkei im Westen und Aserbaidschan im Osten in Zeiten der Not alleingelassen, wenn nicht betrogen.
Wie die NATO verfügt die OVKS (Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit) über Klauseln zum gemeinsamen Beistand. Als sich Armenien jedoch im Frühjahr 2021 und erneut im September aserbaidschanischer Angriffe auf sein Territorium ausgesetzt sah, rief die OVKS nicht den Bündnisfall aus. Sie beließ es bei symbolischen Handlungen. Obwohl Aserbaidschan nicht zur Organisation gehört, ist es den anderen OVKS-Staaten näher und wichtiger - mit seinen Transportrouten, seinen Gas- und Ölvorkommen.
Armeniens Gegner triumphiert
Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew höhnte gar, dass sein Land "trotz der Tatsache, dass es kein OVKS-Mitglied ist, mehr Freunde in dieser Organsiation hat als Armenien". Premierminister Nikol Paschinjan habe es nicht geschafft, die OVKS-Staaten gegen Aserbaidschan aufzubringen.
Tatsächlich hatte Alexander Lukaschenko, Machthaber in Belarus, Ende Oktober gesagt, Alijew sei "ganz unser Mann" und Aserbaidschan kein Gegner von Belarus und anderen OVKS-Staaten. Eine Intervention des Bündnisses im Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan lehnte er ab. Paschinjan solle mit Alijew über die Grenzstreitigkeiten verhandeln. Vernehmbaren Widerspruch der OVKS-Staaten Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan gab es nicht.
Im Namen Russlands erklärte der Außenpolitiker und Duma-Abgeordnete Konstantin Kossatschow, der Konflikt Armeniens mit Aserbaidschan falle nicht in die Zuständigkeit der OVKS. Russland bemühe sich aufrichtig um eine Lösung, aber nicht auf der Seite Armeniens, sondern als Vermittler zwischen beiden Staaten.
Dabei ist Russland per Vertrag militärische Schutzmacht Armeniens und betreibt dort zwei Militärbasen. Der russische Inlandsgeheimdienst FSB patrouilliert an der armenischen Grenze zur Türkei, zum Iran und zu Aserbaidschan.
Russlands Macht schwindet
Im Dezember 2020 war es Russland noch gelungen, einen bereits 44 Tage währenden Krieg Armeniens und Aserbaidschans um Bergkarabach zu stoppen. Damals standen die aserbaidschanischen Truppen davor, das gesamte Konfliktgebiet auf seinem Territorium einzunehmen. Die dort lebenden Armenier hätten fliehen müssen.
In einer Waffenstillstandsvereinbarung setzte Putin durch, dass russische Truppen zum Schutz der Armenier nach Bergkarabach verlegt werden, das sich auf aserbaidschanischem Gebiet befindet.
Doch offenbar verfügt Putin nun nicht mehr über diese Macht. Als er Paschinjan und Alijew Ende Oktober bei sich in Sotschi zu Gast hatte, konnte er keine Verlängerung der russischen Truppenpräsenz in Bergkarabach über das Jahr 2025 erwirken, wie es im Vorfeld kolportiert worden war. Alijew will die russischen Truppen wieder loswerden. Den Konflikt um Bergkarabach will er nur noch als innenpolitisches Problem seines Landes verstanden wissen und mit den Armeniern ohne Vermittlung von außen reden.
Die Armenier in Bergkarabach wiederum fühlen sich nicht ausreichend geschützt von Russland. Mehrfach gab es Proteste. Ganz ohne russische Truppenpräsenz allerdings wird die Mehrheit eher fliehen, als unter aserbaidschanische Herrschaft zu geraten.
Eine schwache Achse
Auch in Armenien selbst fühlen sich die Menschen nicht sicher durch die russische Truppenpräsenz. Die Kämpfe im Grenzgebiet zu Aserbaidschan mit mehr als 300 Toten im September kamen erst zum Erliegen, als die USA, Frankreich und die EU den diplomatischem Druck deutlich erhöhten. Derzeit patrouilliert eine Beobachtermission der EU an der Grenze. Die Europäische Union drängt darauf, noch in diesem Jahr ein Friedensabkommen abzuschließen. Die russischen Bemühungen zur Festlegung des Grenzverlaufs finden eher parallel und in Konkurrenz, als in Abstimmung mit Brüssel statt.
Einen gemeinsamen Verbündeten haben Armenien und Russland hingegen im Iran. Armeniens südlicher Nachbar ist traditionell mit dem christlichem Armenien verbunden. Der kurze gemeinsame Grenzverlauf ist für beide Seiten eine wirtschaftliche Lebensader. Doch die Nord-Süd-Achse ist nicht durch Stärke geprägt: So wie sich Russland durch den Krieg gegen die Ukraine schwächt, verliert die Führung Irans durch das massive gewalttätige Vorgehen gegen ihre eigene Bevölkerung an Handlungsfähigkeit.
Allianz der Turkstaaten
Auch diese Lage nutzt Alijew. Immer offener spricht er, der selbst autoritär regiert, vom notwendigen Schutz der aserisch-stämmigen Bevölkerung im Iran. Beim Treffen der Turkstaaten kürzlich in Usbekistan stellte er die turksprachigen Völker in Opposition zum Iran. Deren Siedlungsgebiete erstrecken sich von der Türkei bis nach Zentralasien.
Alijew sieht sich dabei eins mit seinem Verbündeten Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei. Dieser arbeitet schon länger an einem Bündnis über Zentralasien bis nach Pakistan. Diese west-östliche Achse erlangt umso mehr Bedeutung, je weniger die Transportrouten durch Russland und Iran für den internationalen Handel in Frage kommen. Lang gehegte Pläne über moderne Eisenbahn- und Straßenverbindungen sowie Pipelines werden nun für internationale Investoren interessanter. Aserbaidschan, zwischen Russland und Iran gelegen, ist in wirtschaftlicher und geostrategischer Hinsicht Schlüsselstaat.
Armenien ist seit dem verlorenen Krieg gegen Aserbaidschan 2020 in der Position des Verlierers. Stärke gewinnt es durch die Diaspora-Armenier, die zu Millionen in der Welt verstreut leben, vor allem in den USA, Frankreich und Russland. Der Exodus aus Russland seit Kriegsbeginn in der Ukraine bescherte Armenien immerhin einen kleinen Aufschwung, von dem unter anderem der IT-Sektor profitiert. Auch Pläne für den Bau schlagkräftiger Drohnen sollen umgesetzt werden.
Beim Gipfel in Jerewan allerdings sollten die OVKS-Staaten und auch Putin kein Anbiedern Armeniens erwarten. So deuten Kommentatoren in Armenien offene Kritik Paschinjans in der vergangenen Woche. Paschinjan weiß um die Stimmung in großen Teilen der Bevölkerung, die sich nichts mehr vormachen lassen wollen in Zeiten, in denen es um das Überleben geht.