Olaf Scholz und Wolodymyr Selenskyi

Ukraine-Besuch des Kanzlers Selenskyjs wichtigste Wünsche bleiben unerfüllt

Stand: 02.12.2024 17:55 Uhr

Immer wieder eckt Kanzler Scholz mit seinem Kurs gegenüber der Ukraine an. Bei seinem Besuch in Kiew übte er sich im Schulterschluss mit Präsident Selenskyj. Aber bei zwei Themen gab der Kanzler nicht nach.

Bis heute ist der Wunsch der Ukraine nach einer schnellen Aufnahme in die NATO nicht in Erfüllung gegangen. Und dabei wird es auch bleiben. Bundeskanzler Olaf Scholz reagierte auf diese Forderung der Regierung in Kiew ausweichend. "Die NATO hat zu diesem Thema Beschlüsse gefasst, die auch einen Weg zeigen", sagte der SPD-Politiker bei einer Pressekonferenz mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.

Bei den NATO-Gipfeln in Vilnius 2023 und Washington 2024 sei dieser Weg beschrieben worden. Neue Beschlüsse sind demzufolge nach Auffassung des Kanzlers nicht nötig. Vor allem die Länder an der NATO-Ostflanke wie Polen und die baltischen Staaten hatten auf eine Einladung an die Ukraine gedrungen, während Deutschland und die USA noch nicht so weit gehen wollten.

Selenskyj möchte sein Land schnell unter den Schirm der NATO bringen, damit sie bei einem möglichen Waffenstillstand vor erneuter russischer Aggression geschützt wäre. "Die Einladung in die NATO ist eine notwendige Sache für unser Überleben", sagte er am Sonntag in Kiew. Er machte deutlich, dass er sich einen entsprechenden Beschluss beim NATO-Außenministertreffen in Brüssel an diesem Dienstag und Mittwoch wünsche.

"Sie waren gemeinsam auf dem Maidan", Vassili Golod, ARD Kiew, über den Besuch von Kanzler Scholz in der Ukraine

tagesschau24, 02.12.2024 14:00 Uhr

Scholz will weiter keine "Taurus" liefern

Ebenso blieb Scholz bei seiner Linie, keine "Taurus"-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern. Deutschland habe Mehrfachraketenwerfer und Artilleriesysteme mit hoher Reichweite sowie Kampfpanzer geliefert. Anders beim "Taurus": "Bei einzelnen Waffensystemen haben wir eine bestimmte Einschätzung, ob das richtig ist, dass sie zur Verfügung stehen oder nicht", sagte er. "Das hat was mit der Reichweite zu tun und den Notwendigkeiten, die Zielsteuerung zu kontrollieren."

Das ändere nichts daran, dass Deutschland die Ukraine umfassend unterstütze. Scholz befürchtet, dass die Marschflugkörper mit ihrer Reichweite bis zu 500 Kilometern eskalierend wirken könnten. Präsident Selenskyj reagierte betont höflich auf die erneute Absage. Er sieht aber keine große Chance mehr, die deutsche Haltung noch zu ändern. "Die 'Taurus'-Frage ist für uns eine Herausforderung. Wir haben dazu viel gehört, an der Position Deutschlands gearbeitet", sagte er. Dabei betonte er: "Wir könnten mehr militärische Ziele in der Russischen Föderation treffen."

Selenskyj pocht auf mehr Flugabwehr

Der ukrainische Präsident drängte auf die Lieferung von weiteren Flugabwehrsystemen. "Wir suchen gerade Schutz für 20 spezielle Objekte. Der Schutz reicht nicht wegen der massiven (russischen) Raketenschläge", erklärte Selenskyj in Kiew. Details zu den schutzbedürftigen Objekten wollte er nicht nennen.

Selenskyj hob davor den deutschen Anteil bei der Lieferung von Flugabwehrsystemen wie "Patriot", Iris-T und anderen hervor. "Die meiste Flugabwehr hat eben Deutschland der Ukraine gegeben", unterstrich der Staatschef. Selenskyj bedankte sich ausdrücklich noch einmal bei Scholz und Deutschland für diese Hilfe. "Das ist ein historischer Beitrag Deutschlands beim Schutz von Leben", hob er hervor. Die russischen Angriffe erforderten aber weitere Lieferungen.

"Wir haben einen langen Atem"

Der Bundeskanzler war am Morgen nach gut neunstündiger Fahrt mit einem Sonderzug aus Polen in der Hauptstadt Kiew angekommen. Trotz seiner Absagen gegenüber Selenskyj machte er deutlich, dass sein Besuch ein Signal an die russischen Invasoren sei. "Wir haben einen langen Atem. Und wir werden an der Seite der Ukraine stehen, solange wie das nötig ist", sagte der deutsche Regierungschef in der gemeinsamen Pressekonferenz.

Scholz versicherte auch, dass es keine Friedensverhandlungen ohne die Beteiligung der Regierung in Kiew geben werde. "Ich werde es nicht zulassen, dass über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer hinweg entschieden wird", sagte Scholz. Russland könne der Ukraine "keinen Diktatfrieden aufzwingen".

Scholz: Militärhilfen auch 2025

Scholz versprach der Ukraine die "unverbrüchliche Unterstützung" im Abwehrkampf gegen Russland. Noch in diesem Jahr sollen weitere Rüstungsgüter im Wert von 650 Millionen Euro aus bereits zugesagten Mitteln zur Verfügung gestellt werden, erklärte Scholz.

Das Waffenpaket umfasst demnach zwei Flugabwehrsysteme Iris-T, zehn "Leopard 1A5"-Kampfpanzer, 60 Schützen- und Kampfpanzer der Typen M80 und M84 (durch eine Vereinbarung mit Kroatien) sowie 6.000 ungelenkte und 500 gelenkte Raketen. Deutschland werde auch 2025 Waffen liefern, etwa Luftverteidigungssysteme und Panzerhaubitzen.

Markus Preiß, ARD Brüssel, zzt. Kiew, zum Ukraine-Besuch des Kanzlers

tagesthemen, 02.12.2024 21:20 Uhr

Grüne: Scholz kommt mit leeren Händen

Ausgerechnet diese Zusagen lösten bei seinem Koalitionspartner - den Grünen - aber Irritationen aus. Die Parteispitze begrüßte zwar grundsätzlich den Besuch des Kanzlers, doch ihr Haushälter im Bundestag, Sebastian Schäfer, kritisierte gegenüber der Bild-Zeitung, dass es der Ukraine und dem Weg zu einem gerechten Frieden nicht helfe, wenn die gleichen Mittel immer wieder neu ins Schaufenster gestellt würden.

"Dieses Paket ist die Teil-Umsetzung der Unterstützung, die der Kanzler Selenskyj bei seinem Besuch in Berlin im Oktober versprochen hatte. Der Kanzler kommt also mit leeren Händen", erklärte Schäfer weiter. Auch bei dem ehemaligen Koalitionspartner FDP wunderte man sich über die Zusagen des Kanzlers. Karsten Klein, Haushalts- und Verteidigungsexperte der FDP, sagte der Bild-Zeitung: "Wir haben keine neuen Mittel beschlossen." Scholz könne also nur "auf bestehende Zusagen oder laufende Lieferungen beziehen".

"Wahlkampf auf dem Rücken der ukrainischen Bevölkerung"

Brisant war der Besuch auch wegen des beginnenden Bundestagswahlkampfs. Scholz hebt dabei seine Doppelstrategie in der Ukraine-Politik als Alleinstellungsmerkmal der SPD hervor: Einerseits weitere Waffenlieferungen zusichern, andererseits verhindern, dass Deutschland und die NATO in den Krieg hineingezogen werden.

Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter bezeichnete die Reise vor diesem Hintergrund als unglaubwürdiges Wahlkampfmanöver. Der Augsburger Allgemeinen sagte er: "Scholz macht Wahlkampf auf dem Rücken der ukrainischen Bevölkerung und bedient zugleich russische Angst-Narrative."

BSW-Parteichefin Sahra Wagenknecht kritisierte die Waffenzusagen von Scholz an die Ukraine scharf. "Als Kanzler ohne Mehrheit schon wieder teure Waffengeschenke zu machen, ist nicht nur rücksichtslos gegenüber den deutschen Steuerzahlern, in deren Land Krankenhäuser schließen und Schulen verrotten, sondern bedeutet auch, dass das Sterben in der Ukraine weitergeht und noch mehr junge Männer an der Front ihr Leben verlieren."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 02. Dezember 2024 um 12:00 Uhr.