Russische Schwarzmeerflotte Wenn ausgerechnet die "Moskau" sinkt
Der Verlust des Flaggschiffs trifft Russland empfindlich. Seine Schwarzmeerflotte ist über die Jahrhunderte vom Prestigeobjekt zum nationalen Mythos geworden. Im Ukraine-Krieg bringt sie wenig Ansehen.
"Die Geografie wollte es, dass Russland eine Kontinentalmacht ist, doch der strategische Anspruch seiner Herrscher war beharrlich darauf ausgerichtet, diese Zwickmühle zu überwinden": So leitete der russisch-norwegische Politikwissenschaftler Pavel Baev 2019 eine Analyse über Aufrüstungspläne der russischen Marine ein - und kommentierte zugleich ihren ewig wunden Punkt. Bei all seiner gigantischen Landmasse wendet Russland seit jeher enorme Kräfte auf, um eine geachtete See-Streitmacht zu sein. Dreh- und Angelpunkt dieses Selbstverständnisses war stets die Schwarzmeerflotte, obwohl sie die kleinste der vier russischen Flotten ist.
Von Zarin Katharina II. begründet, wurde sie über die Jahrhunderte vom stolzen Vorzeigeobjekt zu einem nationalen Mythos umgeprägt. An der Überhöhung wirkte Moskau mit, indem es auch kleinste Niederlagen der Schwarzmeerflotte stets zu einer "Bedrohung der nationalen Sicherheit und Souveränität" stilisierte - bis heute, da die russische Führung unverhohlen zeigt, dass der Kreml wieder imperial und in Jahrhunderten denkt. Militärische Rückschläge der Flotte wurden stets eng mit einer Beschämung Moskaus vor der Weltöffentlichkeit verknüpft und lieferten den Anstoß für tiefgreifende innen- und außenpolitische Veränderungen.
Vom Krimkrieg zur Krim-Annexion
Schon am Ende des für Russland ruinösen Krimkriegs versenkte die russische Marine ihre im Hafen der gefallenen Festung Sewastopol verbliebenen Schiffe selbst, um sie nicht in die Hände der alliierten Mächte fallen zu lassen. Die Niederlage 1856 führte dem zaristischen Russland seine technische Rückständigkeit vor Augen - Zar Alexander II. musste zum Reformator werden und ging neben der Aufhebung der Leibeigenschaft auch den Aufbau des Schienennetzes an, das heute im Westen als "Transsibirische Eisenbahn" bekannt ist.
Nach der Oktoberrevolution errang die Rote Armee erst 1920 die Halbinsel Krim aus den Händen der Weißen Armee; die dort stationierte Schwarzmeerflotte wurde aufwändig neu aufgebaut und instand gesetzt und spielte im Zweiten Weltkrieg eine wichtige Rolle im Kampf gegen das nationalsozialistische Deutschland. Der Sieg über den Faschismus im "Großen Vaterländischen Krieg" bildete die gesamte Bestehenszeit der Sowjetunion hindurch einen wichtigen Grundstein für ihr Selbstverständnis als Land mit der "stärksten Armee der Welt". Nach dem Zusammenbruch 1991 fand Russland seine Vormacht in der Region stark zurückgedrängt - denn inzwischen war mit der Türkei ein mächtiger Schwarzmeer-Anrainerstaat der NATO beigetreten und die Schwarzmeerflotte auf ukrainischem Nationalstaatsgebiet stationiert.
Nach und nach wurde die Flotte in den 1990er-Jahren zwischen der Ukraine und Russland aufgeteilt und der Hafen von Sewastopol mit seiner militärischen Infrastruktur erst gemeinsam genutzt, dann von Russland gepachtet. Während Kiew sich durch den schrittweisen Verkauf ihrer Anteile an Russland schon damals übervorteilt sah, blieb Moskau seine unvollständige Kontrolle über die Schwarzmeerflotte stets ein Dorn im Auge - ein Zustand, den Russland durch die Annexion der Krim 2014 völkerrechtswidrig revidiert hat.
Aufwändige Aufrüstungspläne seit 2014
Heute umfasst die russische Schwarzmeerflotte etwa 25.000 Mann. Offiziell ist sie nicht nuklear bewaffnet - verfügt aber über Startsilos für nuklearfähige Flugkörper. Ob solche nach 2014 auf der Krim eingelagert wurden, lässt sich nicht unabhängig prüfen. Neben dem Kreuzer "Moskwa" (auf Deutsch: "Moskau") gehören zur Flotte auch sieben Docklandungsschiffe, sechs U-Boote, fünf Korvetten, drei Fregatten und sechs Patrouillenschiffe, Flugkörperschnellboote, U-Jagdboote und Küsten- sowie Hochsee-Minensucher.
Dass nun im Krieg gegen die Ukraine ausgerechnet die "Moskwa" gesunken ist, sei "ein schwerer Prestigeverlust für die russische Marine", sagte Militärexperte Gustav Gressel vom European Council on Foreign Relations (ECFR) auf tagesschau24: "Es ist das Flaggschiff, auch das größte Schiff im ganzen Schwarzen Meer."
Wie schlagkräftig die Schwarzmeerflotte gegenwärtig militärisch ist, ist unklar - Experte Pavel Baev hob in seiner Analyse von 2019 noch Etatkürzungen hervor, die den ehrgeizigen Modernisierungszielen nach 2014 entgegenstünden. Eine Einschätzung, die auch andere Analysten zu diesem Zeitpunkt teilten.
Im aktuellen Krieg bringt der mindestens vorübergehende Verlust der "Moskwa" Russland nach Einschätzung von ECFR-Experte Gressel tatsächlich auch militärische Nachteile: Er sei "auch ein Warnschuss an die russische Marine", die bislang der Ukraine mit amphibischen Manövern gedroht hatte - also mit einer Landung von Seestreitkräften im Hafen von Odessa, der sich allerdings als Finte zu Kriegsbeginn entpuppte. "Jetzt wird sich Russland überlegen, ob sie das noch einmal tun", meint Gressel - denn die Beschädigung der "Moskwa" habe vor Augen geführt, was passieren könnte, falls ukrainische Raketen etwa einen russischen Truppentransporter träfen.
"Russisches Schiff, fahr' zur Hölle!"
Mit dem Schlag gegen die "Moskwa" konnte die Ukraine nun einen weiteren Ansehenserfolg gegen die Schwarzmeerflotte verbuchen. Russlands Präsident Wladimir Putin speie vor Zorn vermutlich gerade Blut, schrieb etwa der ukrainische Militärjournalist Illia Ponomarenko nach der Nachricht.
Immerhin ist es nicht das erste Mal, dass der Kreuzer mit der Hauptstadt im Namen für eine schwere Kränkung des Kremls herhalten muss - und der ukrainischen Propaganda einen Punktsieg verschafft: Als am 24. Februar die im Schwarzen Meer gelegene Schlangeninsel von russischen Kräften erobert wurde, sollen dort stationierte ukrainische Soldaten auf Kapitulationsaufrufe per Funk entgegnet haben: "Russisches Kriegschiff, fahr' zur Hölle!" Ein Spruch, den viele Ukrainer und Unterstützer in den ersten Kriegstagen aufgriffen - und der ausgerechnet an die "Moskwa" gegangen sein soll.