Schweizer Streit um Atommüll Kommt ein Referendum zum Endlager?
Wohin mit Atommüll? Diese Frage beschäftigt die Schweiz seit Jahrzehnten. Jetzt wird es konkret. Das Tiefenlager soll im Bereich "Nördlich Lägern" entstehen, unweit der deutschen Grenze. Dagegen formiert sich Widerstand.
Wenn es um das geplante Atommüll-Endlager in der Schweiz geht, dann wird es schnell mal pathetisch. Zumindest seitens der für die Planung zuständigen nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle, kurz Nagra.
Die Nagra wurde vor mehr als 50 Jahren gegründet, von Betreibern der Kernkraftwerke im Land und dem Schweizer Bund. Auf ihrer Internetseite informiert die Genossenschaft regelmäßig die Öffentlichkeit über den Stand der Planungen.
Häufig ist die Rede vom Jahrhundertprojekt Atommüll-Endlager und der damit verbundenen Mission, der Verantwortung für kommende Generationen. Aus ihrer Sicht ist die Nagra bei der Suche nach einer Lösung des Atommüllproblems einen zentralen Schritt weiter: Sie hat beim Schweizer Bundesamt für Energie das Rahmenbewilligungsgesuch für ein Tiefenlager im Bereich "Nördlich Lägern" eingereicht.
Es ist der Beginn eines langwierigen Genehmigungs- und Entscheidungsprozesses mit offenem Ende. Denn von immer mehr Seiten kommt die Forderung, dass die Schweizerinnen und Schweizer in der Sache das letzte Wort haben sollen - ein Referendum erscheint immer wahrscheinlicher.
30.000 Seiten Überzeugungsarbeit
Aus der Sicht der Nagra ist der Bereich "Nördlich Lägern" der optimale Standort, um den Schweizer Atommüll zu entsorgen. Die Lägern ist ein gut zehn Kilometer langer Höhenrücken kurz vor der Grenze zu Deutschland.
Konkret gebaut werden soll das Tiefenlager ab 2045 in der Gemeinde Stadel im Zürcher Unterland. Ab 2050 könnten nach Auskunft der Nagra die ersten Abfälle in 800 Metern Tiefe eingelagert werden: unter anderem Brennelemente aus Atomkraftwerken, aber auch radioaktive Abfälle aus Forschung, Medizin und Industrie.
Mit einem 30.000 Seiten dicken Gesuch will die Nagra nachweisen, dass "Nördlich Lägern" der sicherste Standort im ganzen Land ist. Nagra-Chef Matthias Braun sagt, man werde zeigen, dass der Bau und Betrieb des Tiefenlagers zwar anspruchsvoll, aber auch machbar und möglich sei - und zwar im Einklang mit Umweltschutz und Raumplanung.
Braun betont: "Mit diesem Gesuch liegen die Fakten auf dem Tisch. Diese bilden die Grundlage einer breiten Debatte." Bis es zu der kommt, wird es allerdings noch dauern. Voraussichtlich einige Monate lang prüfen jetzt erst mal die zuständigen Behörden die Unterlagen. Danach erst werden sie veröffentlicht und alle Interessierten sollen sich äußern können.
Gegner planen Referendum
So lange wollen die immer zahlreicher werdenden Gegner des geplanten Tiefenlagers jedoch nicht warten. Aktuell melden sie sich verstärkt in der Öffentlichkeit zu Wort, unter anderem mit der Forderung nach einem Referendum.
Dazu haben sich mehrere Vereine und Personen zu einem Komitee mit dem Namen "Atomares Endlager vors Volk!" zusammengeschlossen. Die Mitglieder argumentieren, dass in der Schweiz selbst über Kuhhörner abgestimmt würde. Dann müsse dies erst recht getan werden, wenn es um eine Atommülldeponie mitten im Großraum Zürich geht.
Im Komitee vertreten sind Organisationen und Personen, die sich nach eigenen Angaben "wissenschaftlich und politisch mit dem Endlager auseinandersetzen". Der Schweizer Physiker Harald Jenny vom Unabhängigen Schweizer Begleitgremium Tiefenlager ist einer davon. Er findet es unter anderem falsch, dass das Atommüll-Endlager in einer Region gebaut werden soll, in der es zu größeren Erdbeben kommen kann.
Außerdem sei "Nördlich Lägern" schon jetzt gespickt mit Erdwärmsonden in bis zu 400 Metern Tiefe. Das könne, so Jenny, möglicherweise zu Kurzschlüssen zwischen einem Tiefenlager und der Erdoberfläche führen. Zudem befinde sich in der Region das größte Erdwärmevorkommen der Schweiz. Werde das Tiefenlager gebaut, sei ein Ressourcenkonflikt vorprogrammiert. Es gelte, die radioaktiven Abfälle sicher zu verwahren und weiterzuforschen, statt viele Milliarden in eine Deponie zu stecken, "die irgendwann undicht und zum Mega-Sanierungsfall wird".
Bodo Schröder vom Verein "LoTi Nördlich Lägern ohne Tiefenlager" ergänzt, dass die Menschen in der Region schon heute besonders belastet seien. Lebten sie doch in der Einflugschneise des Züricher Flughafens Kloten und hätten deshalb mit Fluglärm zu kämpfen. Ein Atommüll-Endlager vor der Tür empfindet er deshalb als weitere Zumutung. Schröder plädiert dafür, das Atommüll-Endlager in einer dünner besiedelten Region zu bauen. Mögliche Unfälle würden dann keinen so großen Schaden anrichten.
Sorgen jenseits der Grenze
Die Schweizer Pläne für das Atommüll-Endlager bereiten auch vielen Menschen in Deutschland Sorgen. Zum Beispiel im nur knapp zwei Kilometer entfernten Hohentengen. Darum weiß man auch in der Baden-Württembergischen Landesregierung.
Auf Anfrage sagte die zuständige Umweltministerin Thekla Walker: "Wir erwarten, dass der Atommüll der Schweiz so sicher wie möglich gelagert wird. Der Schutz der Bevölkerung und der Umwelt steht für uns an erster Stelle. Deshalb werden wir uns weiterhin aktiv in die grenzüberschreitenden Beteiligungsprozesse einbringen und eng mit den Behörden abstimmen. Wir nehmen die Anliegen der Betroffenen vor Ort ernst."
Im Dezember will die Ministerin nach eigenen Angaben deshalb vor Ort mit besorgten Bürgerinnen und Bürgern, aber auch Schweizer Nagra- und Behördenvertretern sprechen.