Pattsituation nach der Wahl Warum eine große Koalition in Spanien keine Option ist
Nach der Wahl droht Spanien der politische Stillstand. Den Konservativen und Sozialisten fehlen jeweils die Mehrheiten. Aber warum koalieren sie dann nicht gemeinsam?
Spanien hat gewählt, herausgekommen ist eine Pattsituation: Die konservative Volkspartei kann keine Mehrheit im rechten Lager organisieren, die Sozialisten haben nur minimalste Chancen, das in ihrem Lager hinzubekommen. In ähnlicher Situation hat es in Deutschland schon mehrere Male eine große Koalition gegeben. Zur deutschen "Gran coalición" gibt es sogar einen spanischen Wikipedia-Eintrag.
Aber auch wenn Deutschland in Spanien vielen als Vorbild gilt: Eine solche "Vernunftehe" zwischen Konservativen und Sozialisten scheint undenkbar. Seit dem Bürgerkrieg ist die Gesellschaft über Generationen hinweg tief gespalten - oder kommt sie vielleicht doch? "Das Wahlergebnis gibt uns den Auftrag zur Verständigung, die Spanier dürfen nicht gefangen bleiben in Blockaden und Blöcken" sagte Alberto Nuñez Feijóo von der konservativen Volkspartei nach der Wahl.
"Blöcke überwinden", man könnte glauben, der gescheiterte Wahlsieger rede nun einer großen Koalition das Wort, nachdem er es nicht geschafft hat, die linke Minderheitsregierung von Pedro Sanchez abzulösen.
"Spanien hat keine Tradition der großen Koalition"
Das wäre ein Irrtum, sagt Politikwissenschaftler Fernando Vallespin: "Das ist keine Option. Eine der beiden großen Parteien hat die Möglichkeit, eine Regierung zu bilden und nicht mit dem politischen Gegner zu koalieren. Spanien hat keine Tradition der großen Koalition, und so aufgeheizt polarisiert wie die Dinge sind, halte ich das für völlig ausgeschlossen."
Der Politikwissenschaftler, der lange das staatliche Institut für Soziologische Studien geleitet hat, ist sicher, dass die Sozialisten gemeinsam mit dem Linksbündnis Sumar versuchen werden, die Minderheitsregierung fortzuführen. Obwohl sie auf Junts angewiesen wären, die Partei des nach Brüssel geflohenen Hardcore-Separatisten Carles Puigdemont aus Katalonien.
"Separatistische Parteien könnten Forderungen stellen, die inakzeptabel sind, weil sie gegen die Verfassung verstoßen. Aber es kann sein, dass man in Verhandlungen eine grundsätzliche Einigung findet, und schwierige Themen erst später verhandelt werden", so Vallespin. Tatsächlich hat Junts den Preis schon hoch angesetzt: Die Separatisten verlangen Amnestie für verurteilte Separatisten und - besonders problematisch - ein Referendum über die Zukunft Kataloniens.
Tiefe Gräben zwischen dem linken und dem rechten Lager
Warum kommt angesichts dieser schwierigen Situation trotzdem niemand in Spanien auf die Idee, die Rede vom "Überwinden der Blöcke" als Plädoyer für eine große Koalition auch nur in Betracht zu ziehen? Weil sich der Graben zwischen dem linken und dem rechten Lager seit Jahrzehnten tief in die spanische Gesellschaft gegraben hat - nicht zuletzt durch Bürgerkrieg und anschließende Franco-Diktatur: "Die Volkspartei ist sozusagen aus dem demokratisch sozialisierten Teil des Franquismus hervorgegangen, auch wenn ihr später junge Leute beigetreten sind und sie sich mit Personen erneuert hat, die nichts mehr mit dem Bürgerkrieg zu tun hatten", erläutert der Politikwissenschaftler.
Ihren Ursprung hat die konservative Volkspartei in der Alianza Popular, die der ehemalige Franco-Minister Manuel Fraga gegründet hatte. Mit dem Übergang zur Demokratie, der Transicion, hat Spanien 1977 auch ein Amnestiegesetz beschlossen. Damals war das richtig, sagte der inzwischen verstorbene Publizist Walter Haubrich einst im ARD-Interview.
Er hat den Übergang Spaniens zur Demokratie als Korrespondent hautnah miterlebt: "Nach Francos Tod hat man zunächst alles verdrängt. Die Inhaber der faktischen Macht waren ja alles Leute aus der Franco-Zeit, Franquisten. Sowohl beim Militär, beim Geld, bei den Banken und auch in der Wirtschaft." Auch die Linke stimmte damals zu; nur so sei eine Art Neuanfang möglich, glaubte man.
Keine Aufarbeitung der Franco-Diktatur
Eine Aufarbeitung von Bürgerkrieg und Diktatur gab es nicht - der Konflikt, die Verbrechen, die Schuld lösten sich aber nicht in Luft auf, sondern verfestigten sich in den politischen Lagern. Als die regierenden Sozialisten 2005 die letzte Franco-Statue in Madrid per Kran entfernen ließ, beklagte sich der damalige Chef der Volkspartei, Mariano Rajoy, das sei ein Bruch des Geistes der Transición: "Wir haben entschieden nach vorne zu schauen, niemand will zurück in die Vergangenheit." Am Ende stimmte seine Volkspartei 2007 einem ersten Gesetz zur staatlichen Aufarbeitung zu - doch an die Regierung gekommen, strich sie alle öffentlichen Gelder für die Exhumierung und Identifizierung von Bürgerkriegsopfern.
Der Graben ist tief zwischen den politischen Lagern, in der Gesellschaft. Man spreche nicht umsonst auch von den "Zwei Spanien", sagt Politikwissenschaftler Vallespin: dem traditionellen, konservativ-katholischen und dem der Vielfalt, das auch die regionalen Unterschiede pflege.
Sorge vor dem Wachstum der extremen Parteien
Im Vergleich zu früher hat sich das einstmals faktische Zweiparteiensystem von Konservativen und Sozialisten in eine buntere Parteienlandschaft gewandelt. Gerade das mache eine große Koalition eher noch unmöglicher, glaubt Vallespin: "Wenn die beiden zusammen regieren würden, könnten die Parteien an den extremen Rändern wachsen, und das möchten beide vermeiden. Das heißt nicht, dass nicht einzelne wichtige Vereinbarungen möglich wären, wie beim Klimaschutzgesetz oder gegen separatistische Bestrebungen - aber es überwiegt eine Strategie des Konfliktes und der Polarisierung."
Wenn also Alberto Nuñez Feijóo von den Konservativen davon spricht, das aktuelle Wahlergebnis verlange "Verständigung zwischen den Blöcken", dann meint er damit nicht etwa ein gemeinsames Regieren mit den Sozialisten, sondern legt nahe, dass sie eine von ihm geführte Minderheitsregierung tolerieren mögen.
Anm. d. Redaktion: Der Vorname des Politikers Alberto Nuñez Feijóo wurde korrigiert. Zudem wurde die Abkürzung für die Partei "Junts per Catalunya" korrigiert. Sie lautet nicht "JuntsXCat" sondern "Junts".
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