Nach US-Zusage an die Ukraine Mit Streumunition zum Sieg oder zur Eskalation?
Erleichterung in Kiew, Empörung und Drohungen in Moskau, teils deutliche Kritik auch von NATO-Staaten: Die US-Zusage für die Lieferung von Streumunition an die Ukraine sorgt für kontroverse Reaktionen.
Russland hat die von den USA angekündigte Lieferung von Streumunition an die Ukraine scharf kritisiert und mit Drohungen geantwortet. Aber auch mehrere NATO-Staaten äußerten Bedenken und distanzierten sich teilweise deutlich vom Schritt der US-Regierung. Dagegen begrüßte die Ukraine die Ankündigung.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj dankte US-Präsident Joe Biden für ein "dringend benötigtes Verteidigungshilfepaket", das "die Ukraine dem Sieg über den Feind und die Demokratie dem Sieg über die Diktatur näher bringen wird". Der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow schrieb auf Twitter, die US-Entscheidung werde das Leben ukrainischer Soldaten retten und zur Befreiung besetzter Gebiete beitragen. Die Munition werde "nicht auf dem offiziell anerkannten Territorium Russlands" eingesetzt werden. Die Ukraine werde über den Einsatz genau Buch führen und Informationen mit ihren Partnern austauschen, versicherte Resnikow.
Scharfe Kritik aus Moskau
Das russische Außenministerium bezeichnete die geplante Lieferung von Streumunition an die Ukraine dagegen als weitere "eklatante Offenbarung des aggressiven antirussischen Kurses der USA". Der Schritt ziele ab "auf die maximale Verlängerung des Konflikts in der Ukraine und einen Krieg bis zum 'letzten Ukrainer'", heißt es in einem Kommentar der Außenamtssprecherin Maria Sacharowa.
Durch die Streumunition würden noch mehr Zivilisten getötet, erklärte sie. Die Lieferung sei ein Zeichen der Verzweiflung angesichts des "Scheiterns der breit beworbenen ukrainischen Offensive", heißt es. Das Versprechen der Kiewer Führung, die Munition nur gegen militärische Ziele anzuwenden, bezeichnete Sacharowa als wertlos.
Noch deutlich weiter ging der russische Ex-Präsident Dmitri Medwedjew in seiner Reaktion. Er warf den USA vor, einen Atomkrieg zu provozieren. Die Lieferung von Streumunition und das Versprechen eines NATO-Beitritts an die Ukraine zeigten, dass Biden alle anderen Ressourcen aufgebraucht habe, schrieb Medwedjew, der aktuell Vizechef des russischen nationalen Sicherheitsrats ist, auf Telegram. Dies führe aber zum Dritten Weltkrieg, drohte er. Zuvor hatte schon Russlands Botschafter in Washington, Anatoli Antonow, vor dem Dritten Weltkrieg durch die immer tiefere Verstrickung der USA in den Konflikt gewarnt.
Guterres gegen Einsatz von Streumunition
Verhaltener, aber ebenfalls ablehnend äußerte sich UN-Generalsekretär António Guterres zur Entscheidung der USA, der Ukraine im Krieg gegen Russland Streumunition zu liefern. "Der Generalsekretär unterstützt die Konvention gegen Streubomben, die, wie Sie wissen, vor 15 Jahren verabschiedet wurde", sagte Guterres' Sprecher Farhan Haq. Guterres wolle, dass sich Staaten an diese Konvention hielten. "Deshalb ist er dagegen, dass weiterhin Streumunition auf Schlachtfeldern eingesetzt wird", sagte Haq.
Laut UN-Angaben sind bisher 111 Staaten Teil der Konvention gegen Streubomben. Insbesondere auch viele Staaten in Europa haben das Übereinkommen unterzeichnet, das Herstellung, Lagerung, Einsatz und Weitergabe von Streumunition verbietet. Die USA, Russland und die Ukraine gehören allerdings nicht zu den Unterzeichnern. Im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine setzen beide Seiten Streumunition ein.
Spanien lehnt US-Entscheidung ab
Unmissverständlich machte Spaniens Verteidigungsministerin Margarita Robles vor Journalisten deutlich, dass sie zwar "Ja" zur legitimen Verteidigung der Ukraine sage, aber "Nein" zu Streumunition. Ihr Land vertrete den Standpunkt, dass bestimmte Waffen und Bomben unter keinen Umständen geliefert werden dürften. Die anderslautende Entscheidung sei aber eine der US-Regierung und nicht der NATO, in der auch Spanien Mitglied ist.
Großbritannien ging auf vorsichtige Distanz zur Entscheidung der USA. Premierminister Rishi Sunak machte in seiner Reaktion deutlich, dass sein Land an der Ablehnung von Streumunition festhalte. "Das Vereinigte Königreich ist Unterzeichner einer Konvention, die Herstellung oder Nutzung von Streumunition untersagt - und wir raten von dem Einsatz ab", sagte Sunak dem Nachrichtensender Sky News.
Gemischte Reaktionen in Deutschland
Auch in Deutschland gab es unterschiedliche Reaktionen. Aus Sicht des CDU-Außenpolitikers Jürgend Hardt darf Deutschland die Lieferung von Streumunition an die Ukraine nicht kritisieren. Denn Deutschland habe es versäumt, die Produktion von klassischer Munition hochzufahren und die Ukraine damit zu versorgen. "Wenn wir nun sagen, wie ächten die Streumunition, machen wir uns einen schlanken Fuß", sagte Hardt dem NDR. Der SPD-Politiker Michael Roth sprach von einer ganz schwierigen Diskussion. Die Ukraine sei in einer Ausnahmesituation und brauche dringend Munition, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag dem WDR. Aber er wünsche sich, dass die Ukraine so schnell wie möglich auf die Streumunition verzichten könne.
Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter stellte sich gegen die von den USA geplante Ausrüstung der ukrainischen Armee mit Streumunition. "Die Lieferung von Streumunition lehne ich ab. Sie ist zurecht geächtet", sagte der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag der Nachrichtenagentur dpa. Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sagte, dass Russland schon Streubomben einsetze und sie großes Verständnis dafür habe, dass die Ukraine danach frage. Die Vorsitzende des Bundestags-Verteidigungsausschusses erklärte gegenüber "Welt TV", dass es sich andererseits um geächtete Munition handle. Da müsse man "natürlich noch einmal genau hingucken".
Streumunition wird aus der Luft oder vom Boden aus mit Raketen oder Bomben verschossen, die in der Luft bersten. Dadurch werden viele kleine Sprengkörper freigesetzt, die sich auf großer Fläche verteilen, damit sie möglichst viele Ziele treffen. Nach Angaben von Nichtregierungsorganisationen soll es mehr als 200 verschiedene Arten von Streumunition geben.
Oft explodieren sie aber nicht und bleiben als Blindgänger eine Gefahr für die Menschen in der Region - auch weil sie, zumal für Kinder, nicht als gefährliche Bomben zu erkennen sind und für Spielzeug gehalten werden können. Nach Angaben des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz produzieren einige Arten von Streumunition bis zu 40 Prozent Blindgänger.