
Nach Verhaftung von İmamoğlu Wie umgehen mit der Türkei?
Nach der Festnahme von Istanbuls Oberbürgermeister İmamoğlu kritisiert die Bundesregierung das Vorgehen der türkischen Führung scharf. Zugleich warnen Außenpolitiker davor, die Türkei an den Pranger zu stellen.
Ein "Angriff auf die Demokratie", "inakzeptabel", ein Zeichen "politischer Willkür" - seit Tagen gibt es in Deutschland scharfe Kritik an der Festnahme von Istanbuls Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu. Auch Regierungssprecher Steffen Hebestreit äußert sich besorgt, fordert eine schnelle und transparente Aufklärung der Korruptionsvorwürfe gegen den beliebten Oppositionspolitiker und spricht von einem "schlechten Zeichen" für die Demokratie und die Beziehungen zur Türkei.
Auffällig: Die Freilassung von İmamoğlu fordert der Regierungssprecher auch auf mehrfache Nachfrage von Journalisten nicht. "Ich habe dazu gesagt, was ich gesagt habe", so seine knappe Antwort in der regulären Regierungspressekonferenz.
SPD und Grüne fordern Freilassung von İmamoğlu
Die noch regierenden Parteien der rot-grünen Koalition sind sehr viel deutlicher. Sie sehen die Festnahme als politisches Manöver von Präsident Recep Tayyip Erdoğan, um seinen Widersacher auszuschalten. "Die Türkei muss den Weg der Rechtsstaatlichkeit und den Weg der Demokratie gehen", betont Grünen-Co-Chef Felix Banaszak und fordert die rasche Freilassung İmamoğlus.
Bei den Sozialdemokraten hat das Präsidium eine entsprechende Forderung beschlossen. Die Inhaftierung reihe sich ein "in eine Serie politisch motivierter Verurteilungen und ist ein Angriff auf freie Wahlen in der Türkei", kritisieren die Sozialdemokraten. İmamoğlus oppositionelle CHP ist eine Partnerpartei der deutschen SPD.
Aber der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Nils Schmid, räumt im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio auch ein, dass Deutschlands Einflussmöglichkeiten auf die Verhältnisse in der Türkei "begrenzt sind."
"Türkei ist ein Eckpfeiler unserer Verteidigung"
Der Umgang mit der Türkei und den autokratischen Tendenzen von Erdoğan ist für die deutsche Politik schon lange schwierig. Zu wichtig ist das Land als Mitglied der NATO, beim Thema Ukraine oder der Bedrohung durch Russland.
Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter hält daher Kritik an der türkischen Führung zwar für richtig, warnt aber davor, Brücken zur Türkei abzubrechen. "Wir müssen vorausschauen", betont er. "Die nächsten zehn Jahre werden gravierend für Europa, weil Russland Krieg gegen Europa vorbereitet."
Und: "Einer der wesentlichen Eckpfeiler unserer Verteidigung ist die Türkei", so Kiesewetter mit Blick auf die Südostflanke der NATO. Daher müsse man die Türkei eng einbinden und dürfe jetzt nicht jene im Land vor den Kopf stoßen, die weiter auf eine Annäherung mit Europa hoffen. Denn eine Abwendung der Türkei von der Nato und vom Westen könne gravierende Folgen für die Sicherheit Europas haben.
Markus Preiß, ARD Berlin, zu den Reaktionen aus der deutschen Politik auf die Festnahme İmamoğlus
Ein wichtiger, aber schwieriger Partner
Auch SPD-Mann Schmid verweist auf die wichtige internationale Rolle der Türkei - bei der Stabilisierung von Syrien, in der NATO, bei Migrationsfragen, bei der Sicherung des östlichen Mittelmeers.
Außerdem ist da noch das Verhältnis zu Zypern. Der Norden der Insel wird von der Türkei kontrolliert, der Süden ist EU-Mitglied. In jüngster Zeit hatten sich die Türkei und die EU aufeinander zu bewegt - sowohl in politischen als auch in wirtschaftlichen Fragen, sagt Schmid. Doch der Umfang der Zusammenarbeit "ist sicherlich jetzt gefährdet", warnt er und plädiert zugleich für einen pragmatischen und realistischen Umgang mit der Türkei. "Sie ist und bleibt ein wichtiger, aber auch schwieriger Partner."
Erst vor einem Jahr vereinbarten die EU-Staats- und Regierungschefs, die Beziehungen zur Türkei wieder zu stärken. Jetzt, nach der Inhaftierung von İmamoğlu, könnten geplante hochrangige Gespräche erst einmal auf Eis gelegt werden, heißt es dazu in Brüssel.
Linke fordern Stopp von Waffenlieferungen
In Berlin geht die oppositionelle Linke noch einen Schritt weiter. "Erdoğan ist ein Autokrat", kritisiert Co-Parteichef Jan van Aken und fordert einen Stopp aller Rüstungslieferungen an die Türkei.
Auch bei den Grünen - noch mit in der Regierung - gibt es vereinzelt ähnliche Stimmen, die von der Parteispitze allerdings nicht mitgetragen werden. Er wäre jetzt vorsichtig mit einzelnen Forderungen, sagt etwa Parteichef Banaszak unter Verweis auf die NATO und die aktuellen internationalen Herausforderungen. Aber die Tür für eine demokratische Türkei muss offenbleiben, betont der Grünen-Chef. Zumindest in dem Punkt sind sich fast alle einig.