Landesweiter Luftalarm Ukraine meldet neue Raketenangriffe
Russland soll erneut kritische Infrastruktur in der Ukraine angegriffen haben. Es seien Energieanlagen getroffen worden, so der staatliche Versorger. Laut Ukraine wurden mehrere auf Kiew gerichtete Raketen abgefangen.
Die russische Armee hat die Ukraine nach deren Angaben erneut mit Raketen angegriffen. Landesweit wurde Luftalarm ausgelöst. Ukrainische Behörden und Medien berichteten über Explosionen in Riwne im Nordwesten des Landes, im Gebiet Kiew, in Odessa und anderen Regionen.
Der Berater des ukrainischen Präsidentenbüros, Olexij Arestowytsch, sagte, dass fünf auf Kiew gerichtete Raketen abgefangen worden seien. In anderen Teilen des Landes gebe es teils Folgen der Angriffe und durch die abgeschossenen Raketen. Details nannte er nicht.
Den Abschuss der Raketen in Kiew bestätigte auch Bürgermeister Vitali Klitschko. "Der Luftalarm geht weiter. Bleiben Sie in den Schutzbunkern und achten Sie auf Ihre Sicherheit", mahnte er.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Erneut Energieanlagen getroffen
Der Versorger Ukrenergo meldete, im Westen des Landes sei erneut Infrastruktur der Energieversorgung angegriffen worden. Mehrere Anlagen seien getroffen worden. Das Ausmaß der Schäden sei "mit den Folgen der Angriffe vom 10. bis 12. Oktober vergleichbar oder könnte diese sogar noch übertreffen". Behörden in mehreren Regionen berichteten von Stromausfällen, auch bei der Wasserversorgung gab es demnach Probleme.
Nach Angaben des ukrainischen Präsidialamtes haben mehr als eine Million Haushalte nach den Angriffen keinen Strom mehr. Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach von einem "massiven Angriff", bei dem Russland 36 Raketen abgefeuert habe.
Russland hatte Anfang vergangener Woche Städte im ganzen Land massiv angegriffen und dabei vor allem auf die Infrastruktur zur Energieversorgung abgezielt. Erstmals seit Monaten wurden auch die Hauptstadt Kiew und die westukrainische Stadt Lwiw wieder getroffen. Zeitweise wurde der Strom rationiert. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte zuletzt gesagt, dass durch die russischen Angriffe inzwischen 40 Prozent der Energie-Infrastruktur des Landes zerstört seien.
Dunkelgrün: Vormarsch der russischen Armee. Schraffiert: Von Russland annektierte Gebiete.
In Russland meldeten staatsnahe Militärblogger den Einsatz von Bombern des Typs Tupolew Tu-160. Neun davon seien am Morgen in der Luft gewesen. Sie veröffentlichten auch Videos, die Einschläge russischer Raketen in der Ukraine zeigen sollen. Überprüfbar waren diese Aufnahmen von unabhängiger Seite nicht.
Schmyhal warnt vor "humanitärer Katastrophe"
Der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal bat Deutschland, innerhalb weniger Tage neue Munition zur Abwehr russischer Luftangriffe zu liefern. Im Gespräch mit der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" warf er Russland vor, es wolle die Ukraine durch Angriffe auf ihre zivile Infrastruktur "in eine humanitäre Katastrophe stürzen". Russland wolle der Ukraine "einen kalten Winter bescheren, in dem viele Menschen buchstäblich erfrieren könnten", sagte er. Wenn es in der Ukraine keinen Strom, keine Heizung und kein Wasser mehr gebe, könne dies "zu einer planvoll herbeigeführten humanitären Katastrophe führen, wie Europa sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gesehen hat."
Schmyhal berichtete, das neu gelieferte deutsche Flugabwehr-Raketensystem Iris-T SLM sei mittlerweile im Einsatz und habe "schon sehr, sehr viele Menschenleben gerettet". Allerdings warte die Ukraine "ungeduldig" auf neue Munition, die das Land jetzt schon brauche. "Es geht buchstäblich um Tage." Außerdem bat Schmyhal um Störsender, um die täglich "20 bis 30 iranischen Kamikaze-Drohnen" abzuwehren, die Russland gegen die Ukraine einsetze. "Unsere Fachleute arbeiten daran mit unseren Freunden, und dazu gehört auch Deutschland."
Angesichts der Verheerungen durch Russlands Luftangriffe bat Schmyhal zudem um "mobile Ausrüstung zur Erzeugung von Strom und Wärme" sowie um Anlagen zur Wasseraufbereitung. Es werde kalt, und die Leute brauchten dies "fürs blanke Überleben". Deshalb werde die Ukraine "im Winter mehr als 10.000 mobile Generatoren und mobile Heizzentralen benötigen". Treibstoff für die Generatoren sei im Augenblick noch genug da - "aber wenn großräumig Strom und Heizung ausfallen, brauchen wir mehr". Dann brauche sein Land auch Stromimporte aus dem Westen.
Mehr Geld für Militärhilfe gefordert
Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) will am Dienstag mit Schmyhal über weitere mögliche Waffenlieferungen aus Deutschland sprechen. Das Treffen sei im Verteidigungsministerium in Berlin geplant, sagte ein Sprecher.
Für das kommende Jahr fordern Lambrecht und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) außerdem deutlich mehr Geld für die militärische Unterstützung der Ukraine. Die bisher im Haushaltsentwurf für 2023 eingeplanten 697 Millionen Euro sollten auf 2,2 Milliarden Euro aufgestockt werden, schrieben die beiden Ministerinnen in einem Brief an Finanzminister Christian Lindner (FDP), über den die Nachrichtenagentur dpa berichtet.