Russland attackiert Stromnetz Großangriff auf ukrainische Energieinfrastruktur
Umspannanlagen und eine Talsperre: Russland hat die ukrainische Energieversorgung angegriffen. Am AKW Saporischschja ist offenbar eine Leitung beschädigt worden - der Strom fiel zeitweise aus. Die Behörden sprechen von mehreren Toten.
Russland hat nach ukrainischen Angaben erneut die Energieinfrastruktur des Landes ins Visier genommen. "Jetzt führt der Feind den größten Angriff auf die ukrainische Energie in der letzten Zeit durch", schrieb Energieminister Hermann Galuschenko auf Facebook und Telegram. "Das Ziel (der Angriffe) besteht nicht nur darin, das Energiesystem des Landes zu beschädigen, sondern wie im letzten Jahr erneut zu versuchen, einen großflächigen Ausfall herbeizuführen", so der Minister.
Mindestens fünf Menschen wurden nach Angaben des ukrainischen Innenministeriums und lokaler Behördenvertreter durch die russischen Angriffe getötet. Außerdem habe es vor allem in den Regionen Saporischschja und Chmelnyzkyj mehr als 20 Verletzte gegeben.
Wiederherstellung der Stromversorgung
"Leider gibt es in verschiedenen Bereichen Treffer und Schäden an den Erzeugungs- und Umspannanlagen. Zudem wurde eine der vom Kernkraftwerk angetriebenen elektrischen Übertragungsleitungen wegen Beschuss gestört", schrieb Galuschenko.
In einigen Regionen gebe es Stromausfälle. "Energiekonzerne arbeiten bereits an der Wiederherstellung der Stromversorgung. Wir tun unser Bestes, um den Menschen so schnell wie möglich das Licht zurückzugeben", versicherte Galuschenko.
Größte Talsperre getroffen
Das nordöstliche Charkiw - die zweitgrößte Stadt des Landes - meldete in den frühen Morgenstunden mehrere Explosionen russischer Raketen. Laut Bürgermeister Ihor Terechow hätten die Angriffe auf die Stromversorgung der Stadt gezielt. Nach seinen Angaben kam es dadurch teilweise tatsächlich zu Stromausfällen im Stadtgebiet.
Gleichzeitig wurde bei einem russischen Angriff nach Angaben des Betreibers des Wasserkraftwerks DniproHES die größte Talsperre des Landes in der Nähe von Saporischschja getroffen. Es bestehe jedoch kein Risiko eines Bruchs. Es gebe ein Feuer in der Anlage. Mitarbeiter und Notfalldienste seien im Einsatz. Wie die ukrainische Staatsanwaltschaft präzisierte, wurde allein das Kraftwerk acht Mal getroffen.
Stromleitung am AKW Saporischschja beschädigt
Am Atomkraftwerk Saporischschja wurde zudem bei einem Angriff eine Stromleitung gekappt. Die Hochspannungsleitung Dniprowskaja sei am Morgen ausgefallen, teilte die Kraftwerksleitung des vom russischen Militär besetzten Kraftwerks im Süden der Ukraine auf Telegram mit. Die Stromversorgung gewährleiste eine Ersatzleitung, Gefahr für die Sicherheit des AKW bestehe nicht, hieß es weiter. Den Ausfall der Leitung bestätigte auch die Internationale Atomenergieagentur IAEA, demnach sei aber eine weitere Stromleitung noch in Betrieb.
Galuschenko machte auf Telegram Russland für den Schaden verantwortlich. Die russische Nachrichtenagentur Interfax schrieb, dass die Kraftwerksleitung keinen Grund für den Ausfall genannt habe.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Das größte Kernkraftwerk Europas wurde im März 2022 kurz nach Kriegsbeginn von russischen Truppen besetzt. Bis heute liegt es im Frontgebiet und ist mehrfach unter Beschuss geraten. Wegen der Sicherheitsbedenken wurden die Reaktoren schließlich heruntergefahren, müssen aber weiter gekühlt werden.
Weitere Anschläge auf Energieobjekte gab es nach ukrainischen Angaben unter anderem in Mykolajiw, Dnipro, Lwiw und Sumy.
Laut dem Energieanbieter Ukrenergo ließen die russischen Angriffe mehr als eine Million Menschen in der Ukraine ohne Strom. Polen, Rumänien und die Slowakei würden jedoch das inländische Energienetz aus dem Ausland unterstützen. Der polnische Anbieter PSE teilte mit, er habe zwischen 6 und 11 Uhr Strom in das ukrainische Netz eingespeist.
Auch das staatseigene Öl- und Gasunternehmen Naftogaz meldete, dass einige Anlagen bei Angriffen beschädigt worden seien.
Selenskyj: "Russland im Krieg mit dem Alltag der Menschen"
In der Nacht herrschte in weiten Teilen der Ukraine Luftalarm. Nach ukrainischen Angaben setzte Russland erneut strategische Bomber des Typs Tu-95 ein, die im Raum des Kaspischen Meeres Marschflugkörper in Richtung der Ukraine starteten. Später wurden auch Angriffe mit Drohnen, ballistischen Raketen und Lenkflugkörpern - unter anderem vom Typ Kinschal - gemeldet. Ins Visier gerieten praktisch alle Landesteile der Ukraine von Lwiw im Westen bis nach Donezk im Osten, von Charkiw und Sumy im Norden bis nach Odessa und Mykolajiw im Süden.
Bei den Angriffen kamen nach Behördenangaben mindestens fünf Menschen ums Leben - drei in der Region Saporischschja und zwei im westlichen Gebiet Chmelnyzkyj.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach von nächtlichen Angriffen mit mehr als 60 Drohnen und fast 90 Raketen. "Die Welt sieht die Ziele der russischen Terroristen deutlich: Kraftwerke und Energieversorgungsleitungen, einen Staudamm, gewöhnliche Wohngebäude und sogar einen Oberleitungsbus. Russland führt Krieg mit dem Alltag der Menschen. Mein Beileid gilt den Angehörigen der Opfer dieses Terrors", schrieb Selenskyj auf der Plattform X.
Russland spricht von Vergeltungsschlägen
Russland bestätigte die Angriffe und bezeichnete sie als Vergeltung für Übergriffe der Ukraine auf russisches Territorium. Das Stromnetz, Eisenbahnknotenpunkte, Munitionsdepots und andere Ziele seien erfolgreich angegriffen worden, teilte das Verteidigungsministerium mit.