Kiew in Zeiten des Krieges Vom Konzert in den Luftschutzkeller
In Kiew gibt es nach vier Monaten Krieg wieder so etwas wie Nachtleben: Restaurants, Clubs und Musikbars haben geöffnet. Doch noch gibt es Einschränkungen - und die Stimmung ist verhalten.
An kaum einem Ort in Kiew scheint der Krieg weiter weg zu sein als im "Kyiv Food Market". In der alten Backsteinhalle sind mehrere Restaurants nebeneinander untergebracht - Thailändisch, Vietnamesisch und Sushi, sehr hip, sehr urban. Andreyj muss sich wie auf einem anderen, besseren Stern fühlen.
Er kommt aus Mykolajiw, das derzeit immer wieder von russischen Raketen getroffen wird. In Kiew besucht er seinen Bruder, bei einem Hot Dog freut er sich über die "nette Atmosphäre": "Die Leute arbeiten, sie sind glücklich", stellt er fest - das motiviere ihn, "durchzuhalten". Mit Unterstützung, bekräftigt er, "wird alles gut, die Ukraine wird siegen."
Eine Einkaufshallen namens "Kyiv Food Market" in Kiew.
Essen vor der Ausgangssperre
Aus Kiews Vororten sind die russischen Truppen schon vor einigen Monaten abgezogen. Seit Mitte Mai haben auch die Restaurants im "Food Market" wieder geöffnet. In den Wochen zuvor wurden hier noch Lunch-Pakete für die ukrainischen Soldaten gepackt - eine Solidaritätsaktion der Gastronomen.
Heute herrscht hier wieder weitgehend normaler Betrieb. Der Umsatz sei allerdings um mehr als ein Drittel eingebrochen, sagt der Manager des Kyiv Food Market, Oleg Schkarowskyj. Viele Menschen haben Kiew verlassen, die Touristen kommen auch nicht mehr - und dann ist da die abendliche Ausgangssperre um 23 Uhr. Essen kann man derzeit nur bis etwa 20.30 Uhr bestellen.
"Die Mitarbeiter arbeiten jetzt kürzer, damit sie wie unsere Kunden rechtzeitig sicher nach Hause kommen", sagt Schkarowskyj. "Es gibt auch derzeit keine Live-Musik oder Entertainment, keine DJs."
"Es ist nicht so wie früher"
DJs, Discos, Tanzen - das ist in Kiew derzeit so gut wie tabu. Die Nachtclubs haben, wenn überhaupt, nur tagsüber auf. Muiz muss sich noch daran gewöhnen. Der Technofan ist extra wegen des guten Nachtlebens nach Kiew gezogen.
"Ja, freitags und samstags gibt’s manchmal Parties, vor der Ausgangssperre. Die machen dann um 22 Uhr dicht", erzählt er. "Das macht keinen Spaß, ich hasse es. Deswegen bin ich kürzlich nach Berlin gefahren. Ich habe die Clubs so vermisst!"
Als Ausländer hat er die Möglichkeit, die Ukraine zu verlassen. Für ukrainische Männer im wehrfähigen Alter gilt das nicht. Aber in diesen Zeiten ist sowieso vielen nicht nach Tanzen zumute. Und der junge Ukrainer Roman sieht auch die Menschen, die hier die Restaurants bevölkern, mit einem kritischen Auge: "Da draußen herrscht Krieg! Es ist ein bisschen zu normal hier… Es ist nicht so wie früher! Denn Du weißt, dass Menschen, Deine Liebsten, an der Front ihr Leben riskieren."
"Musik für den Sieg"-Spendenbox
Katerina ist da ähnlicher Meinung. Sie schlendert mit ihrer kleinen Tochter am Arm an den Restaurants vorbei, wo die Gäste ihr Abendessen einnehmen. "Es ist gut, dass unsere Soldaten nicht umsonst an der Front sind. Wegen ihnen können unsere Kinder und ich ein normales Leben führen und uns entspannen. Aber wenn, dann bitte mit Maß, ohne Exzesse", sagt sie. Ihr Mann ist seit Monaten an der Front im umkämpften Donbass. Wann er nach Hause kommt, weiß sie nicht.
Alles wirkt in Kiew wie gebremst. Cafés, Restaurants, auch Musikclubs haben auf. Aber über allem liegt ein Schatten. Dass nichts normal ist, zeigen das Schild am Eingang, das den Weg zum nächsten Luftschutzkeller weist - und der gelegentliche Luftalarm.
"Für den Sieg": Neben der Bühne im "Pepper's Club" ist eine Spendenbox aufgestellt.
Harte Zeiten - nicht nur für DJs, sondern auch für Bands. Im "Peppers Club", einem Musikclub in Kiew, will man nicht komplett auf Musik verzichten: "Das hier ist die Front der Musik! Viele Musiker verdienen kein Geld mehr, andere haben gekämpft und sind traumatisiert", sagt die Kellnerin Jarena.
Um Geld zu sammeln, organisiert der Club Abende unter dem Motto "Musik für den Sieg": In eine Box neben die Bühne können die Gäste Geldscheine stecken.
"Dieser Song ist den gefallenen Soldaten gewidmet", sagt Sänger der Band "Kudasov" und stimmt eine getragene Ballade an. Ein paar trauen sich dann doch noch, vor der Bühne zu tanzen. Aber nur ganz zurückhaltend.