Rekruten trainieren in der Region Kiew (Ukraine)

Pressefreiheit in der Ukraine Zur Armee eingezogen wegen kritischer Recherche?

Stand: 18.04.2024 17:21 Uhr

Ein ukrainischer Journalist recherchiert zu einem Korruptionsfall beim Inlandsgeheimdienst SBU. Kurz darauf soll er in die Armee einberufen werden. Ein Zufall? Es ist nicht der erste Fall dieser Art.

Von Lena Crohmal und Vassili Golod, ARD Studio Kiew  

Es ist ein massiver Verdacht, den Jewhenij Schulhat äußert. Er habe in die ukrainische Armee eingezogen werden sollen, weil er einen Fall von Korruption aufgedeckt hat - davon ist der Journalist überzeugt. Schulhat arbeitet seit Jahren für die Investigativ-Platform "Slidstvo.Info". Im Fokus seiner jüngsten Recherche steht der Leiter der SBU-Abteilung für Cyber-Sicherheit, Ilja Witjuk. 

Witjuk besitzt Immobilien im Wert von mehreren hunderttausend Euro. Summen, die weit über den Gehältern eines ukrainischen Beamten liegen. Registriert sind die Luxuswohnungen auf die Namen seiner Mutter und seiner Frau - mutmaßlich, um den wahren Besitz zu verschleiern.

Plötzliche Einberufung

Schulhat erinnert sich an den Beginn seiner Recherche: Witjuk habe seine Steuererklärung für 2023 abgegeben und diese sei ihm zugespielt worden. Und die Folgen dieser brisanten Recherche hatten es in sich. Kurz nach der offiziellen Anfrage beim Inlandsgeheimdienst SBU wird plötzlich versucht, den Journalisten zum Militär einzuziehen. "Nachdem wir die Rechercheanfrage an den SBU geschickt haben, kamen Menschen in Militäruniform auf mich zu und wollten mir einen Einberufungsbescheid aushändigen", berichtet Schulhat.  

All das passiert, während der Journalist gerade zum Einkaufen in einem Kiewer Supermarkt ist. Aufnahmen von Überwachungskameras zeigen, wie drei Männer auf Schulhat zugehen. Zwei von ihnen tragen Militäruniform, der Dritte ist in zivil und telefoniert. Dieser Mann hält Abstand zu den Uniformierten, so als gehöre er nicht dazu. Schulhat filmt die Situation mit seinem Handy. Die Männer kennen seinen Namen, wissen genau wer er ist. "Woher kennen Sie meinen Namen?", fragt er die Männer. "Ihre Unterlagen sind doch beim Militärkommissariat", antworten sie.

Der Geheimdienst filmt mit

Die Männer in Uniform sind vom Militärkommissariat, der ukrainischen Behörde, die für die Einberufung von Männern zuständig ist. Später stellt sich heraus: Der Mann in Zivil ist Mitarbeiter beim SBU, also dem Geheimdienst, über den der Journalist berichten wollte. Zu diesem Zeitpunkt steht er kurz vor der Veröffentlichung über den mutmaßlichen Korruptionsfall.

"Mitten im Krieg setzt der Geheimdienst seine Ressourcen nicht für die Bekämpfung des Aggressors ein, sondern verfolgt Journalisten, die zum Vermögen hochrangiger Beamter recherchieren", sagt Schulhat. Werden Einberufungsbescheide also als Rache für unliebsame Recherchen eingesetzt? Kateryna Djatschuk vom Institut für Massenmedien in Kiew sieht darin ein System. 

Die Medienforscherin beobachtet einen Trend, dass investigative Journalisten, die über Korruption schreiben, unter Druck gesetzt werden. Sie ist überzeugt, dass die Regierung das in einigen Fällen als repressives Instrument einsetzt. Djatschuk erinnert an einen Skandal, der erst vor wenigen Monaten eine Welle der Empörung auslöste. Journalisten der Investigativ-Plattform "Bihus.info" wurden mit versteckten Kameras bespitzelt, ihre Handys abgehört.

So wie Schulhat ist auch das Online-Medium "Bihus.Info" auf Korruption und Vetternwirtschaft spezialisiert und recherchiert unter anderem zu Fällen innerhalb der Behörden. Auch das "Bihus.Info"-Team gerät ins Visier des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes SBU, wie es in einer aufwändigen Recherche selbst nachweisen konnte.

Ein Überbleibsel der Sowjet-Mentalität?

Journalisten für unliebsame Recherchen verfolgen lassen - das erinnert Anton Hruschetskij vom Kiewer Internationalen Institut für Soziologie an längst vergangene Zeiten. Er wertet die Einschüchterungsversuche als Überbleibsel der sowjetischen Mentalität. "Leider gibt es in einigen Positionen Menschen, die sich so etwas immer noch erlauben. Aber die Reaktion des SBU zeigt, dass es eine Zivilgesellschaft gibt und dass ihr Wille von der Regierung nicht ignoriert wird", erklärt der Soziologe.  

Der SBU hat auf den öffentlichen Druck durch die Recherchen von Schulhat reagiert. Der mutmaßlich korrupte Spitzenbeamte mit den Luxuswohnungen sei suspendiert und an die Front geschickt worden, heißt es in einer Mitteilung. Zu einem Interview ist der SBU auf Anfrage der ARD nicht bereit.

Ein Thema, das bleibt

 Schulhat wird weiter über die Korruption in seinem Land berichten. Zum Einschüchterungsversuch sagt er: "Das beweist, dass wir alles richtig gemacht haben, als wir diese Recherche veröffentlicht haben." 

Dass nun der mutmaßlich korrupte Beamte einfach suspendiert und an die Front geschickt wurde, sei falsch, kritisiert Schulhat. Krieg dürfe nicht als Vorwand genutzt werden - nicht, um Journalisten einzuschüchtern und auch nicht, um Beamte vor Verfahren zu schützen.

 

Lena Crohmal , ARD Kiew, tagesschau, 18.04.2024 17:31 Uhr